Vereinbart, beschlossen, infrage gestellt

Wegen der Finanzkrise fielen in Berlin in den letzten Wochen Mega-Entscheidungen praktisch im Stundenrhythmus, und es fehlte die Zeit für sorgsame Beratungen. Beobachter sehen das als Grund für die Irritationen, die nun bei etlichen kleineren Themen auftauchen.

Berlin. Über 30 Wortmeldungen gab es gestern in der SPD-Fraktion beim Thema Kfz-Steuer - alle negativ. Die vorgesehene Befreiung von der KFZ-Steuer für ein Jahr, um den Autoabsatz anzukurbeln, sei unökologisch und werde darüber hinaus die angestrebte Wirkung verfehlen, so der Tenor. Selbst Umweltminister Sigmar Gabriel, der die Maßnahme im Kabinett mit beschlossen hatte, mochte da nicht widersprechen. Am Ende gab Fraktionschef Peter Struck die Losung aus, man müsse nach Alternativen suchen. Bis zum Abend war das geschehen: Die Große Koalition habe sich auf ein neues Modell für die KFZ- Steuerbefreiung verständigt, teilte Struck mit.

In der Diskussion: Abwrackprämie für alte Autos



Wer in den kommenden sechs Monaten einen umweltfreundlichen Neuwagen kauft, soll zwei Jahre lang keine KFZ-Steuern bezahlen müssen. Außerdem soll in Absprache mit der Union eine "Verschrottungsprämie" für alte Autos geprüft werden.

Gestern Vormittag hatte auch CDU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen die Maßnahme in frage gestellt. Schon in der vergangenen Woche hatte es heftige Debatten gegeben. Doch traute sich da niemand, offen gegen den Kabinettsbeschluss aufzubegehren. Heute will das Kabinett das "Wirtschafts-Stärkungs-Gesetz" genannte Konjunkturprogramm beschließen, zu dem auch die KFZ-Steuer gehört. Vorschläge von "Opel", die Regierung soll für die Autohersteller 40 Milliarden Euro bereitstellen, wurden in Berlin brüsk zurückgewiesen. "Die haben einen Knall", sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer.

Der hatte bei einem anderen Thema gestern in Berlin für Alarmstimmung gesorgt. Die "Bild"-Zeitung zitierte Ramsauer mit der Aussage, die CSU-Abgeordneten würden bei der Erbschaftssteuerreform im Bundestag "nicht anders abstimmen als das Land Bayern". Da alle damit rechnen, dass Bayern sich im Bundesrat enthält, weil dort die FDP mitregiert, hätte das bedeutet, dass die CSU im Bundestag den Koalitionskompromiss nicht mittragen würde. In Sachen Bundestagsabgeordnete ruderte die CSU am Abend wieder zurück, ausgestanden ist der Ärger aber noch nicht: Die FDP will die CSU im Bundestag mit einem eigenen Gesetzentwurf unter Druck setzen, berichtet der "Münchner Merkur". Sie fordert darin wie die CSU, dass die Erhebung der Erbschaftsteuer den Ländern überlassen werden soll. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel geht von einer einheitlichen Linie der vier Landesregierungen mit Beteiligung der Liberalen in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen aus. Ein weiterer Streit schwelt um den Einsatz der Bundeswehr im Innern, nachdem die SPD am Montag einen Koalitionsbeschluss endgültig gekippt hatte. Die Sozialdemokraten wollen eine Grundgesetzänderung lediglich für zwei konkrete Ausnahmefälle mittragen: Zur "Abwehr unmittelbar drohender Gefahren aus der Luft oder von See". Nach geltendem Recht ist ein Bundeswehreinsatz im Innern auf Naturkatastrophen beschränkt und die Terrorabwehr durch Soldaten nicht möglich. Anfang Oktober hatte sich der Koalitionsausschuss darauf verständigt, dass die Armee generell "zur Abwehr eines besonders schweren Unglückfalles" im Innern zum Einsatz kommen dürfe. Die damalige Vereinbarung ging auf Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) zurück, der sich damit jedoch nicht in der SPD-Bundestagfraktion durchsetzen konnte. Schwanz wedelt mit Hund

Spätestens seit gestern weiß jeder, warum man die FDP in in der Bundes-Politik so wenig vermisst hat. Kaum wittert die Klientelpartei Morgenluft (in Form der Regierungsbeteiligung in Bayern), da wedelt der Schwanz schon wieder mit dem Hund: Weil den Liberalen die Erbschaftssteuer nicht passt, wollen sie den mühsam ausgehandelten Kompromiss der Großen Koalition über den Umweg Bundesrat kippen. Da graust einem schon davor, welchen Einfluss Westerwelle, Brüderle & Co. erst im kommenden Jahr haben werden, wenn ihre Parteifreunde womöglich mit Roland Kochs CDU in Hessen eine Regierung bilden. Die FDP könnte dann mit einer Art Sperrminorität im Bundesrat zum Bremsklotz werden für das Wenige, was SPD und CDU/CSU im Wahljahr überhaupt noch beschließen. Und das angesichts einer Großen Koalition, die sich bei ihren Vorhaben und vor allem deren Umsetzung ja ohnehin nicht mit Ruhm bekleckert. Kaum ein Beschluss, der nicht wenige Tage nach Verkündung in Frage gestellt oder direkt zerredet wird - wie gestern die KFZ-Steuerbefreiung und die Bundeswehreinsätze. Die Herausforderungen, die nur eine Große Koalition hätte lösen können, bleiben derweil offene Baustellen - oder werden verschlimmbessert, Stichwort: Gesundheitsfonds. Regieren sieht anders aus. m.schmitz@volksfreund.de

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