Versprochen, gebrochen - von Kohl bis Ypsilanti

Es könnte das Wort des Jahres werden: "Wortbruch". Seit Parteichef Kurt Beck die Öffnung zur Linkspartei verkündet hat, klebt es wie eine Klette an der SPD. Und noch stärker, seit klar ist, dass sich die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen will. Prompt sind die Sozialdemokraten in den Umfragekeller gestürzt. Doch der Wortbruch, die Lüge, ist in der Politik nichts Neues und nichts Ungewöhnliches.

Berlin. So manches Mal war der Wähler verärgert angesichts dessen, was Politiker ihm vor der Wahl versprochen und danach nicht gehalten haben. Der damalige Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) hat 2006 entwaffnend ehrlich angemerkt: "Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair." Eines stimmt: In Koalitionen gibt es den Zwang zum Kompromiss. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man seine Wahlkampf-Aussagen nicht mehr ernst nehmen muss. Im Bundestagswahlkampf 2005 warb die SPD offensiv damit, die Mehrwertsteuer auf gar keinen Fall zu erhöhen. Glatt gelogen: In der Großen Koalition stimmte die SPD dafür. Der Wortbruch ist allerdings kein sozialdemokratisches Phänomen: Kanzlerin Angela Merkel kündigte im Wahlkampf nur eine zweiprozentige Mehrwertsteuererhöhung an, am Ende waren es drei Prozentpunkte.Den berühmtesten Umfaller stellt ohnehin die CDU: Helmut Kohl. Vor der Bundestagswahl 1990 versprach der Kanzler, "keine Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit" machen zu wollen. Was folgte war ein milliardenschweres Erhöhungspaket - die Bürger zahlen heute noch den "Soli". Die "Bild-Zeitung" empörte sich über die "Steuerlüge": Sie erschien mit einem um neunzig Grad gekippten Kohl-Bild auf der Titelseite und der Schlagzeile "Der Umfaller". Der Kanzler soll getobt haben. 1983 war dem Pfälzer schon ein anderes Wahlversprechen auf die Füße gefallen: Er werde jedem einen Ausbildungsplatz beschaffen, hatte Kohl zugesagt. 15 000 Briefe von Jugendlichen ohne Lehrstelle flatterten nach der Wahl ins Kanzleramt.

Der Wille zum Machterhalt scheint übermütig zu machen - und spendabel: Vorgänger Helmut Schmidt kündigte 1976 an, bei einer Wiederwahl die Renten um zehn Prozent zu erhöhen. Die Anpassungen fielen geringer als die Lohnerhöhungen aus.

Der erste Kanzler, Konrad Adenauer, verfuhr ähnlich: Er versprach 1957 eine Rentenerhöhung, errang die absolute Mehrheit, um die Rentner dann im Regen stehen zu lassen.

Funktioniert Politik überhaupt ohne Wortbruch? Der Wähler vergisst schnell, aber der politische Gegner meist nicht. Experten wie der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer sagen, die Menschen machen sich ihr Politiker-Bild nach "Sympathie, Sachkompetenz, Führungsqualität und Glaubwürdigkeit". Es gebe "unausweichliche Zwänge" für einen Wortbruch, die man erklären könne. "Im Fall Ypsilanti sehe ich die nicht", so Niedermayer. Ist die Glaubwürdigkeit dahin, ist der Vertrauensverlust groß. Der ehemalige Ex-Finanzminister Eichel kann davon ein Lied singen: Nach der Bundestagswahl 2002 wurde ein "Lügenausschuss" eingerichtet, weil er die Haushaltslage im Wahlkampf schöngeredet hatte. "Alles bestens" war Eichels Motto. In Wahrheit fehlten ihm 13 Milliarden Euro.

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