Vertauschte Knie, vergessene Klemmen

Falsche Medikamente und Diagnosen, verwechselte Gliedmaßen und plötzliche Infektionen - die Liste der ärztlichen Kunstfehler ist lang. Ärzte-Organisationen und Bundesregierung wollen nun gegensteuern.

Berlin. Nach Angaben des Aktionsbündnisses Patientensicherheit kommen in deutschen Kliniken pro Jahr rund 17 000 Patienten durch mangelnde medizinische Sorgfalt ums Leben. Etwa jeder zehnte Krankenhauspatient klagt bei seiner Therapie über ein "unerwünschtes Ereignis". Rund ein Drittel dieser Fälle gehen auf ärztlichen Pfusch zurück. In der Öffentlichkeit wird darüber allerdings zumeist geschwiegen. Wer gibt schon gern Fehler zu? Doch das könnte sich ändern. In einer gestern von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und dem Aktionsbündnis vorgestellten Broschüre bekennen sich 17 zum Teil prominente Mediziner offen zu ihrem Versagen, um eine breite Diskussion anzustoßen.So berichtet zum Beispiel der Kölner Unfallchirurg, Professor Bertil Bouillon, über eine von ihm operierte Sportlerin, die wegen Verdachts auf Meniskus-Schaden ins Krankenhaus kam. Bei der Untersuchung kann Bouillon zwar nichts dergleichen entdecken, nimmt den Eingriff aber trotzdem vor. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass der Arzt das falsche Knie operiert hat. Die Verwechslung wurde versehentlich auf der Operationseinwilligung der Patientin vermerkt. Seit diesem Vorfall markiere er am Morgen der Operation immer bei wachen Patienten die zu operierende Extremität mit einem nicht abwaschbaren Stift, resümiert Bouillon.

Über eine selbst verursachte Allergie schreibt der Chirurg Günther Jonitz, heute Präsident der Ärztekammer Berlin. Weil er es aus Zeitmangel unterließ, eine Patientin nach ihrer Verträglichkeit von Penizillin zu fragen, war die junge Frau am nächsten Tag von einem Hautausschlag übersät. Nach dieser Erfahrung habe er sich "nie wieder zu unnötiger Eile verleiten lassen", berichtet Jonitz.

Die Fehler in der Gesundheitsversorgung müssten endlich enttabuisiert werden, erklärte der Frankfurter Mediziner Matthias Schrappe. Dazu sei die Broschüre ein "großer Schritt". Schrappe ist Chef des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, das vor drei Jahren mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums von Krankenkassen sowie Ärzte- und Pflegeverbänden gegründet wurde. "Nur wenn wir über Fehler sprechen, können wir sie verhindern", meinte Schrappe.

Schlechte Absprachen, Zeitdruck, Kostenzwänge und chronische Unterbesetzung gelten als Hauptursachen für ärztliche Behandlungsfehler. Wer sich zu seinen Defiziten bekennt, muss obendrein mit juristischen Auseinandersetzungen rechnen. Allein bei der AOK klingeln jedes Jahr rund 10 000 Versicherte an, um einen Verdacht auf ärztliches Versagen zu klären. Der Chef des AOK-Bundesverbands, Hans Jürgen Ahrens, hat einen positiven Trend ausgemacht: In vielen Fällen verzichteten die Patienten auf den Rechtsweg, weil der Arzt seinen Fehler eingestanden habe.

Wichtige Erfahrung: Offenheit hilft

Dass Offenheit besser ist als Vertuschen, zeigt sich am Beispiel von Professor Matthias Rothmund, der bei einer Krebsoperation eine Klemme im Bauch eines Patienten "vergessen" hatte. Dafür musste der Mann ein zweites Mal operiert werden. Jahre später kam er wieder, um sich von Rothmund einen Leistenbruch operieren zu lassen. Seine Erklärung: Der Tumor sei nicht wieder aufgetreten. Er sei gut behandelt worden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort