Viel Kritik, kaum Alternativen

BERLIN. Die Rentenreform hat in der großen Koalition und bei den Experten der Bundesregierung einen großen Rückhalt. Doch für Gewerkschaften, die Opposition und viele Bundesbürger ist der Entwurf ein Schreckensszenario. Was bringt die Rente mit 67 den Bürgern?

Wer ist von der Rente mit 67 betroffen? Mit dem Gesetzesentwurf wird das gesetzliche Rentenalter von 2012 bis 2029 stufenweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Langjährig Versicherte können unter Hinnahme von Abschlägen frühestens mit 63 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Ausnahmen belasten die Kasse

Zudem sollen Versicherte mit 45 Beitragsjahren von der Anhebung des Rentenalters ausgenommen werden. Diese Ausnahme trifft bei vielen Reformgegnern aber auch bei Rentenexperten auf Kritik, weil sie vor allem Männer bevorzugt. Die Opposition hält deshalb diese Ausnahme auch für verfassungswidrig. Diese Sonderreglung belastet zudem die Rentenkasse mit rund zwei bis 2,5 Milliarden Euro. Warum ist die Reform notwendig? Die Rentenkasse wird in Zukunft besonders stark durch die geburtenstarken Jahrgänge belastet. Immer weniger Erwerbstätige müssen dann die Renten für immer mehr Rentenbezieher sichern. Welche Möglichkeiten gibt es, die Rentenkassen zu stabilisieren? Die Rentenexperten der Bundesregierung sehen nur wenige Stellschrauben: Die Rentenbeiträge könnten stark erhöht werden, die Renten könnten kräftig gesenkt werden, das Renteneintrittsalter wird erhöht (Rente mit 67) oder der Bund erhöht seinen Zuschuss. Kritiker der Reform glauben aber auch, dass mit Vollbeschäftigung und höherem Bundeszuschuss das Rentenniveau gesichert werden könnte. Können und müssen Dachdecker oder Krankenschwestern überhaupt bis 67 arbeiten? Nach Ansicht von Herbert Rische, Chef der Deutschen Rentenversicherung, kann man diese Problematik nicht per Gesetz, sondern nur über Tarifverträge regeln. Gemeinsam mit dem Rentenexperten der Bundesregierung, Bert Rürup, ist er aber der Meinung, dass der Gesetzgeber bei der Erwerbsminderungsrente nachbessern muss. Dort wären die 2,5 Milliarden Euro für die 45-Beitragsjahre-Regelung viel besser investiert. Wie sieht die Situation älterer Arbeitnehmer momentan aus? Nach Ansicht von Lutz Bellmann, Institut für Arbeitsmark- und Berufsforschung (IAB), hat am Arbeitsmarkt bereits eine Trendwende eingesetzt. Aber im Vergleich beispielsweise zu skandinavischen Ländern seien in Deutschland noch zu wenige Ältere in Beschäftigung. In Deutschland sind 45,4 Prozent der 55- bis 64-Jährigen beschäftigt (Schweden (69,4), Norwegen (65,5), Dänemark (59,5). Wie wird sich der Arbeitsmarkt entwickeln? Im Jahr 2007 sind etwa 44,5 Millionen Deutsche erwerbsfähig (beschäftigt oder arbeitslos gemeldet). Bis 2029 wird die Zahl der Erwerbsfähigen auf etwa 39 Millionen sinken. Durch die längere Arbeitszeit werden aber zwischen 1,2 Millionen und 3,5 Millionen weitere Arbeitsplätze benötigt. Was ist notwendig, dass mehr Menschen länger arbeiten können? Vor allem müssen die Unternehmen in Qualifikation und Gesundheitsvorsorge ihrer Mitarbeiter investieren. Zudem müssen neue Arbeitsmodelle entwickelt werden. Die Experten nennen altersübergreifende Arbeitsgruppen, bei denen die Belastungen unterschiedlich verteilt werden, neue Altersteilzeitmodelle oder Teilzeitangebote für Ältere. Gibt es Alternativ-Modelle zur Rente mit 67? Die FDP hat einen eigenen Vorschlag vorgelegt: Die Rente mit 60, die es den Erwerbstätigen erlaubt, mit Erreichen des 60. Lebensjahres selbst zu wählen, ob man mit Abstrichen in Rente geht oder nicht. Die Gewerkschaften werben unter anderem für eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einbezahlen, auch Beamte und Selbstständige. Doch alle Alternativen haben ein ganz entscheidendes Manko: Es gibt keine politische Mehrheit dafür.

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