Viel Lärm um Nichts

TRIER. (red) Heute vor fünf Jahren trat eine umstrittene Reform in Kraft: Seit dem 1. August 1998 ist die Rechtschreibung neu geregelt. Der Trierer Linguist Peter Kühn zieht in einem Gastbeitrag für den Trierischen Volksfreund Bilanz.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist zunächst einmal in Frage zu stellen, ob es sich bei der Rechtschreibreform tatsächlich um eine grundsätzliche Reformierung handelt. Schließlich ist nur ein Bruchteil der ursprünglich geplanten Vorschläge umgesetzt worden - immerhin war zunächst im Hinblick auf die Internationalisierung an die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung gedacht. Schaut man sich einmal an, was sich eigentlich geändert hat, so sind das keine schwerwiegenden Veränderungen, die das gesamte System der Orthographie und Interpunktion revolutionieren: 90 Prozent aller Änderungen beziehen sich auf die s-Schreibung sowie die "Komma-Entrümpelung". Ohne Wenn und Aber bleibt festzuhalten, dass die Regeln in diesem Bereich einfacher undsystematischer geworden sind, was sich vor allen Dingen positiv auf die Rechtschreibleistungen in der Schule auswirkt. Unter rechtschreibdidaktischen Aspekten ist jede Regel zu begrüßen, durch die die Orthographie vereinfacht wird ("behände" statt "behende"), zumal die unüberschaubare Anzahl von Regeln für die Schüler weder als erlernbar noch als beherrschbar empfunden und erfahren wird. Fest steht: Die Erfahrungen mit der Reform sind vor allem in den Grundschulen überwiegend positiv. Im Bereich der Interpunktion gibt es zudem deutlich mehr Ermessens- und Interpretationsspielräume. Problematisch eingestuft werden hingegen vor allem die neuen Regeln bei der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie der Groß- und Kleinschreibung. Unter linguistischer Perspektive gibt es hier eine Reihe von Inkonsequenzen, die von der Rechtschreibkommission "unter der Hand" peu a peu in Zusammenarbeit mit den Wörterbuchredaktionen korrigiert werden (nun wieder "hochbegabt" statt "hoch begabt"). Wer die neuen Regeln nicht kennt oder nicht befolgt, hat keinen Grund, sich ausgeschlossen zu fühlen oder um sein Prestige zu fürchten. Wenn die Veränderungen der Regeln nun so unerheblich sind, warum dann die lange und immer wieder aufkommende Diskussion darüber? Bei der Rechtschreibung geht es um viel mehr als um Orthographie und Interpunktion. Richtigschreiben nicht zu ernst nehmen

Hinter der Diskussion stehen weitergehende Motive und Interessen: kulturpolitische, juristische, ökonomische, sprachideologische und nicht zuletzt persönliche Profilierungen und Eitelkeiten. Konservative Kulturpolitiker lehnen die Reform ab, weil sie beispielsweise in der veränderten Fremdwortschreibung den Verlust humanistischer Werte und Traditionen sehen ("Filosofie"). Verlage sind dafür, weil sie sich einen ökonomischen Gewinn versprechen. Sprachideologen fürchten um die Ästhetik der Sprache und bewerten einige Schreibweisen als "Sprachverhunzung" ("Schifffahrt"). Auf der anderen Seite hat der Streit um die Rechtschreibreform auch positive Auswirkungen, denn er hat zu einem toleranteren Umgang mit den Regeln geführt. Das Richtig- oder Falschschreiben sollte nämlich nicht zu ernst genommen werden. Richtig zu schreiben darf nicht zum sprachlichen Statussymbol verkommen. Die Pisa-Studie hat uns drastisch vor Augen geführt, was für Schule, Wirtschaft und Gesellschaft wichtig ist.

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