Viel Tadel für ein "bedeutendes Werk"

BERLIN. Die erfolgreiche Abstimmung war nur wenige Minuten alt, als die Gesundheitsministerin erleichtert zum Sektumtrunk auf die Fraktionsebene des Bundestages bat. Allein, den meisten Abgeordneten war nicht nach Feiern zu Mute.

So verloren sich nur ein paar Dutzend Parlamentarier und Ministerialbeamte unterhalb der Reichstagskuppel, um den Dank von Ulla Schmidt entgegenzunehmen: "Ohne Sie hätte ich es nicht geschafft". Deutlich aufgewertet wurde die kleine Runde allerdings durch die Anwesenheit der Kanzlerin. Im Plenum hatte Angela Merkel einen Redeauftritt vermieden. Nun lobte die CDU-Politikerin die Gesundheitsreform als "ein sehr bedeutendes Werk". Sie habe schon mit SPD-Chef Kurt Beck gewettet, dass die "Wirkung sehr viel besser ist, als vorausgesagt". Unmittelbar zuvor hatte das Werk freilich noch einmal seine polarisierende Wirkung entfaltet. In einer teils ruppig geführten Bundestagsdebatte sparte die Opposition nicht mit bissigen Bemerkungen ("Stümperwerk, Pfusch, Zuteilungsmedizin") gegen ein Gesetz, das eigentlich zum Meisterstück der großen Koalition werden sollte, am Ende aber doch nur den kleinsten gemeinsamen Nenner markiert. Auch in den Regierungsfraktionen war die Unzufriedenheit mit Händen zu greifen. Zwar war das Gesetz zu keinem Zeitpunkt in Gefahr: Die große Koalition verfügt im Bundestag über eine solide Zwei-Drittel-Mehrheit. Doch wer weiß, wie das Ergebnis ohne die harschen internen Disziplinierungsversuche ausgesehen hätte, bei denen sich besonders SPD-Fraktionschef Peter Struck hervortat. Für die Opposition waren die Probleme im Koalitionslager ein gefundenes Fressen. Genüsslich hielt Renate Künast ein Zitat des SPD-Abgeordneten Wolfgang Wodarg in die Kameras: "Ich fühle mich belogen und betrogen." Schärfer hätte es die grüne Fraktionschefin auch nicht formulieren können. Am Tag der entscheidenden Abstimmung mochte allerdings kein Abweichler aus der Koalition seine Kritik öffentlich wiederholen. "Auf ihrer Liste stehen nur diejenigen, die Lobhudelei für den verkorksten Kompromiss ausspucken", zürnte ein Oppositionspolitiker.Selbst Fachleute verlieren den Überblick

Regelrecht in Rage redete man sich im Plenum, als das Verfahren der Gesetzgebung rekapituliert wurde. Änderungsanträge zur Änderung der Änderung machten da die Runde, wobei es selbst vielen Fachabgeordneten schwerfiel, noch den Überblick zu behalten. Allein am vergangenen Dienstagabend übersandte das Regierungslager der Opposition noch einmal mehr als 80 Korrekturvorlagen, die am Tag darauf mit schwarz-roter Mehrheit in den Ausschüssen gebilligt wurden. "Sie stimmen hier ab und wissen gar nicht, über was Sie abstimmen", empörte sich Gregor Gysi von der Linkspartei. FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle war darüber erbost, dass laut Reformgesetz ein Bundeszuschuss von schrittweise bis zu 14 Milliarden Euro an die Krankenkassen vorgesehen ist, aber die Gegenfinanzierung völlig im Dunkeln liegt. Steuererhöhungen, so prophezeite er, seien unvermeidlich. Theoretisch könnte die Reform noch vom Bundesrat gestoppt werden - am 16. Februar. Nachdem führende unionsregierte Länder wie Bayern und Baden-Württemberg ihren Widerstand aufgegeben haben, dürfte einer Billigung aber nichts mehr im Wege stehen. Der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller sprach gestern jedenfalls allen Bundestagsparteien aus der Seele: "Nehmen Sie es mir bitte ab, dass ich froh bin, wenn diese Debatte zu Ende ist".

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