Vom Armenhaus zum Aushängeschild

BERLIN. Wer hätte das gedacht: Das kleine Saarland, lange Jahre als "Armenhaus der Republik" bemitleidet, ist plötzlich Spitze. Und die stolze Hauptstadt Berlin rangiert als Tabellenletzter im Ranking (Vergleich), bei dem die wirtschaftliche Entwicklung der 16 Bundesländer untersucht wurde.

Leider war die Präsentation der Studie nicht so dynamisch wie der Inhalt: Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und die "Wirtschaftswoche", die am Mittwoch in Berlin die Ergebnisse einer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) erarbeiteten Studie zur wirtschaftlichen Entwicklung der Länder vorstellten, konnten keine konkrete Einzelauswertung aller Länder vorlegen.Ist-Zustand: Platz fünf für Rheinland-Pfalz

Aber prickelnd war es doch, schon wegen der "Prognose 2004", die dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nichts Gutes verheißt: Das mit absoluter CDU-Mehrheit von Roland Koch regierte Hessen soll demnach das bisher wirtschaftsstärkste Land Bayern vom ersten Platz verdrängen. In der "Dynamik" hat Hessen (Rang 3) den Freistaat (Rang 8) bereits überholt. Im Erfolgsprofil der beiden ehrgeizigen Ministerpräsidenten hat der Hesse also die Nase vorn. Der Fokus richtete sich bei der Präsentation der Studie aber hauptsächlich auf den Sieger Saarland, dessen Wirtschaftsminister Hanspeter Georgi extra angereist war und detailliert erklärte, warum das kleine Land am Rande der Republik den Dynamik-Wettbewerb gewonnen hat. Die Gründe seien im "Mut zur Veränderung", im "Mentalitätswechsel", und im Leitbild der "hochgekrempelten Ärmel" zu suchen. Unter anderem sei es der Landesregierung unter Ministerpräsident Peter Müller (CDU) gelungen, die Trendwende vom Montanstandort hin zu einer modernen Dienstleistungsregion einzuleiten. "Wir sind heute ein IT-Standort", sagte Georgi, "führend im Bereich der Biotechnologie." Im "Bestands-Ranking", das den "Ist"-Zustand der Länder bewertet, behaupteten die seit langem führenden Bundesländer ihre Plätze: Bayern mit 129,9 Punkten (Durchschnitt 100), Baden-Württemberg mit 129,3 und Hessen mit 128,3 Punkten. Rheinland-Pfalz liegt auf dem fünften Platz (110,0), das Saarland auf dem sechsten (108,8) und Brandenburg auf Rang elf (73,1). Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit nur 68,7 Punkten.Sorgenkind Nordrhein-Westfalen

Der wichtigste Teil der Untersuchung, so Tasso Enzweiler, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, sei aber das Dynamik-Ranking, weil dieser Index die Entwicklung im Untersuchungszeitraum (2000 bis 2002) am besten beschreibe. Untersucht wurden insbesondere die Bereiche Produktivität, Arbeitsmarkt, Arbeitskosten und Infrastruktur. Das Saarland habe gewonnen, weil sein Bruttoinlandsprodukt im Vergleichzeitraum um 1,8 Prozent gewachsen sei, deutlich schneller als im Bundesdurchschnitt (0,8). Die Produktivität stieg um 2,5 Prozent (Durchschnitt 0,9), die Arbeitslosigkeit wurde um 0,7 Prozent reduziert, ebenfalls gegen den Trend. Insgesamt erreichte das Saarland 116 Punkte und lag damit um satte 42,2 Punkte vor dem Schlusslicht Berlin. Zweiter der Dynamik-Hitliste wurde der SPD/CDU-regierte Stadtstaat Bremen mit 115,7 Punkten, wie erwähnt vor Hessen (113,7) und Rheinland-Pfalz (106,3). Siebter wurde Baden-Württemberg (104,1), achter Bayern (104,1), dreizehnter Brandenburg (88,5). Als bestes Ostland konnte sich Sachsen profilieren (Rang 6), während die übrigen neuen Länder gemeinsam mit dem großen Nordrhein-Westfalen die hinteren Plätze belegen. "Besorgnis erregend" nannte Mitinitiator Klaus Methfessel, Vize-Chef der Wirtschaftswoche, die Entwicklung des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, das in der Dynamik die schlechtesten Werte aller Westländer aufweist. Aufgrund seines Gewichtes ziehe das Land "die ganze Republik mit nach unten", sagte Methfessel. Müller, der sich nun mit dem Titel "Ministerpräsident des Jahres" schmücken darf, soll am 9. September im Rahmen eines Festaktes in Berlin geehrt werden.

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