Vom "Drückeberger" zur tragenden Säule

TRIER. Die Geschichte begann verhalten. Als vor 45 Jahren die ersten Zivis ihre Arbeit antraten, war der spätere Boom des Ersatzdienstes kaum abzusehen. Doch in den vergangenen Jahren ging es stetig bergab mit dieser Einrichtung. Und im Jubiläumsjahr sieht die Zukunft nicht eben rosig aus.

Am 10. April 1961, heute vor 45 Jahren, wurden 340 junge Männer zu Pionieren: Sie traten als erste anerkannte Kriegsdienstverweigerer in der deutschen Geschichte ihren "zivilen Ersatzdienst" an. Zwar war bereits 1956 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden und damit im Grunde genommen auch der Ersatzdienst. Doch zunächst entschieden sich sehr wenige junge Männer für diese Option: Bis 1958 gingen gerade einmal 2447 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ein. Deshalb wurde der Ersatzdienst erst Jahre später Realität. Erst Randgruppendasein, dann Boom

Zunächst waren die "Zivis" eine gesellschaftliche Randgruppe, sie wurden belächelt und mussten sich als "Drückeberger" bezeichnen lassen. Ihre Zahl nahm zunächst langsam zu, stieg dann jedoch immer schneller. In den 70er-Jahren boomte der "Zivildienst", wie er seit 1973 heißt. Allmählich fand die Arbeit der Kriegsdienstverweigerer auch gesellschaftliche Anerkennung. Die Zivis wurden zu einer tragenden Säule sozialer Einrichtungen. Gründe, das Jubiläum heute zu feiern, gibt es dennoch kaum. Denn die Zeiten der "Erfolgsgeschichte Zivildienst" sind vorbei - und angesichts der aktuellen Probleme fast in Vergessenheit geraten. Es gibt zu wenige Bewerber für die Zivi-Stellen, weil die meisten jungen Männer heute um die Einberufung herumkommen. Der Dienst ist mit inzwischen neun Monaten - 1990 dauerte er noch 20 Monate - so kurz, dass kaum noch Kontinuität gewährleistet ist.Nachwuchs für soziale Berufe bricht weg

Anfang 2004 legte eine Kommission zur Zukunft des Zivildiensts Empfehlungen vor. Wesentlicher Inhalt: Eine Mischung aus freiwilligen Helfern, Vollzeitbeschäftigten und Mini-Jobbern könnte die Zivildienstleistenden ersetzen; Freiwilligendienste sollten ausgebaut und ihre Attraktivität gesteigert werden. Seither fiel immer wieder das Jahr 2008 als Datum für die Abschaffung des Zivildiensts. Das ist mit dem Regierungswechsel in Berlin vom Tisch. Der von Rot-Grün geplante Wehrpflichtskongress Ende 2005 fiel der vorgezogenen Bundestagswahl zum Opfer, und mit der großen Koalition ist die Abschaffung der Wehrpflicht kein Thema mehr. Im Gegenteil: CDU-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung kündigte Anfang März an, in diesem Jahr zusätzlich 4000 Stellen für Wehrpflichtige zu schaffen und deren Zahl damit von 31 000 auf 35 000 zu erhöhen. So will er für mehr Wehrgerechtigkeit sorgen - also dafür, dass weniger junge Männer dem Dienst entgehen. Ob allerdings 4000 Stellen viel ausrichten können angesichts des Problems, dass nach FDP-Angaben knapp 60 Prozent aller tauglichen jungen Männer weder Wehr- noch Zivildienst leisten, ist unklar - ebenso wie eine Antwort auf die Frage, wozu die gerade erst umstrukturierte und verkleinerte Bundeswehr neue Kräfte braucht. Positive Impulse von einer Bundeswehr-Aufstockung sind noch aus einem anderen Grund nicht für den Zivildienst zu erwarten. Denn derzeit werden deutlich mehr Zivis einberufen als Grundwehrdienstleistende - eine Praxis, die angesichts heftiger Kritik kaum beizubehalten sein dürfte. Gleich in mehrfacher Hinsicht liegt die Zukunft des Zivildiensts im Dunkeln. Träger stellen sich seit geraumer Zeit auf Alternativen wie Mini-Jobber ein. Doch abgesehen davon, dass die Leistungen der Zivis nicht vollständig zu kompensieren sind, kommt ein weiteres Problem auf soziale Einrichtungen zu: In der Vergangenheit habe man einen Teil des festen Personals aus Zivildienstleistenden rekrutiert, sagt Sabine Kaufmann vom Trierer Club aktiv. "Seit die Zivis an allen Ecken und Enden fehlen, finden auch weniger Leute den Einstieg in soziale Berufe. Das merken wir schon jetzt deutlich."

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