Vom Sturz einer "absoluten Institution"

Unterschlagung im Amt, zwei Millionen Euro Schaden für eine Kommune: Im Oberen Kylltal (Vulkaneifelkreis) fragen sich alle, wie es dazu kommen konnte, dass der Finanzchef der Verbandsgemeinde zwei Millionen Euro veruntreut haben soll.

Jünkerath/Stadtkyll. Die Nachricht kam am Donnerstag aus - passend - trübem Himmel: Zwei Millionen Euro soll der tags zuvor verhaftete Finanzverwalter der Verbandsgemeinde Obere Kyll in den vergangenen 13 Jahren veruntreut und in kostspieliger weiblicher Begleitung verprasst haben. Der Fall scheint sonnenklar, der 55-Jährige hat sofort und umfassend gestanden - und dennoch: Wirklich verstehen kann sein Verhalten niemand. Und keiner, das wird immer wieder deutlich, will bislang den Stab über ihn brechen. Stattdessen herrscht vor allem tiefe Bestürzung, denn die Kluft zwischen der Person und dem Verhalten, das ihr nun zur Last gelegt wird, scheint schlicht zu groß."Radikal geschockt" seien die Mitarbeiter der Verwaltung, wie einer der Kollegen im TV-Gespräch eingesteht, manche hätten deshalb sogar am Mittwoch nach Hause geschickt werden müssen, berichtet Bürgermeister Werner Arenz. "Wir können es nicht verstehen", sagt er. Der verhaftete Kämmerer gelte als absoluter Fachmann, so besonnen wie hilfsbereit, wer einen Rat brauchte, habe jederzeit zu ihm gehen können. Kurz: "Wir sind bis ins Mark getroffen", sagt Arenz. "Das ist für uns alle unfassbar." Der Beschuldigte - kommende Woche hätte er sein 40. Dienstjubiläum gefeiert - sei im Haus "eine absolute Institution" gewesen. "Ich hätte ihm mein Testament anvertraut."Besonnen und ruhig: So habe der Kämmerer auch während seine ersten Vernehmung am Mittwochmorgen reagiert, berichtet der Bezirksbeamte der Prümer Polizei, Diethard Funk: ",Ich hab' Scheiß gebaut', hat er gesagt. Und dann hat er mir sofort seinen Schlüssel überreicht." Zwei Millionen Euro: Das Geld ist weg, bis auf einen vergleichsweise kümmerlichen Rest von etwa 23 000 Euro. Man werde jetzt "alle Bücher auf links drehen", sagt Bürgermeister Werner Arenz, bis zurück ins Jahr 1994. Erst dann wird sich das ganze Ausmaß der Unterschlagung zeigen. Die fristlose Kündigung des Kämmerers hat die VG bereits eingeleitet, eine mehrjährige Haftstrafe droht.Aber so weit ist es noch nicht. Vorerst rätseln alle, die den 55-Jährigen kennen, warum er über Jahre hinweg diesen Ritt auf Messers Schneide wagte, der eines Tages unweigerlich zum Absturz führen musste. Aber man könne eben, wie Arenz es ausdrückt, "niemandem in die Karten schauen". "Das ist wirklich hart", sagt ein Bürger aus Stadtkyll, dem Heimatort des Kämmerers. "Aber mit dem Finger auf ihn zeigen? Wer weiß, was dahintersteckt." In seinem Geständnis, heißt es bei der Staatsanwaltschaft, habe der Verhaftete seine schwere körperliche Behinderung als Hauptursache für sein zweites, inoffizielles Leben angegeben. Die Gesundheit des Beschuldigten, sagt auch VG-Büroleiter Dieter Hilgers, sei im Moment das Einzige, worüber man sich Gedanken mache. "Alles andere kommt später." Meinung Schlampige Kontrollen Gelegenheit macht Diebe. Dieses Sprichwort gilt offenbar auch im Fall des jetzt wegen Untreueverdachts in Untersuchungshaft sitzenden Kämmerers aus der Eifel. Zwei Millionen Euro soll der 55-Jährige in den letzten 13 Jahren auf eigene Konten umgeleitet und verprasst haben. Sollten sich die Vorwürfe im Prozess als wahr herausstellen, wird der bis dato angesehene Finanzchef bitter dafür büßen müssen - mit einigen Jahren Gefängnis. Zudem ist er den Job los - und wohl auch all sein Hab und Gut. Denn die Behörde wird das komplette Geld von ihm zurückhaben wollen. Viel spannender ist aber eine andere Frage: Wie konnte der Kämmerer in eineinhalb Jahrzehnten so viel Geld abzweigen, ohne dass es jemandem auffiel? Mit den ges trigen Erklärungsversuchen des Bürgermeisters jedenfalls kann sich niemand zufrieden geben. Fakt ist: Entweder die Rechnungskontrolle ist schlampig. Oder es gibt gar keine. Und das wäre ähnlich beschämend wie der mutmaßliche Griff des Kämmerers in die Behördenkasse. r.seydewitz@volksfreund.de

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