Von Aufschwung keine Spur

BERLIN. Keine guten Nachrichten für die Bundesregierung: Die führenden Wirtschaftsinstiute korrigieren ihre Wachstums-Prognosen nach unten, und Finanzminister Hans Eichel drohen weitere Haushaltslöcher.

Der erste Satz des Frühjahrsgutachtens der sechs führenden Wirtschaftsinstitute machte gestern Hoffnung: "Die Weltwirtschaft befindet sich im Aufschwung." Neben geringen Leitzinsen ist dies stets eine gute Voraussetzung dafür, dass hier zu Lande die Konjunktur brummt. Ungefähr in der Mitte der 100 Seiten starken Analyse liest man dann aber Ernüchterndes: Die deutsche Wirtschaft löse sich zwar "allmählich aus der Stagnation", heißt es dort schmeichelhaft, zu einem kräftigen Aufschwung "wird es aber voraussichtlich nicht kommen, vor allem weil der private Verbrauch lahmt". Bei Finanzminister Hans Eichel (SPD) dürfte deshalb nun das große Zähneklappern in die nächste Runde gehen. Fest steht bereits, dass der Kassenwart in diesem Jahr erneut von einem Haushaltsloch ins nächste stapfen wird. Bleibt aber auch noch die erhoffte Wirtschaftsbelebung deutlich aus, dürfte Eichel alsbald in Löchern und Lücken versinken. So rechnet der Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven gegenüber unserer Zeitung vor: Allein "0,2 Prozent weniger Wachstum bedeuten fast eine Milliarde Euro weniger an Steuereinnahmen." Tritt also ein, was die Institute gestern prognostizierten, ist Eichels Finanzplanung in diesem Jahr um ein Defizitrisiko reicher, weil erneut extrem auf Kante genäht. Der Minister rechnet nämlich mit minimal 1,5 Prozent, während die Experten mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von maximal 1,5 Prozent ausgehen. Im Herbstgutachten waren noch 1,7 Prozent vorhergesagt worden. Mehr ist nicht drin, glauben die Institute, weil das Hin und Her bei den Reformen, die damit verbundenen Verunsicherung der Bürger und die hohe Arbeitslosigkeit ein kräftigeres Wachstum verhindern. Und fielen einige Feiertage dieses Jahr nicht aufs Wochenende, gäbe es 2004 sogar nur einen Zuwachs um 0,9 Prozent. Darüber hinaus wird Deutschland bei der Neuverschuldung nach Einschätzung der Wirtschaftsforscher auch im kommenden Jahr zum vierten Mal in Folge gegen die Drei-Prozent-Marke des EU-Stabilitätspakts verstoßen. Wie die Bundesregierung glaubt die EU-Kommission daran allerdings nicht. Die Mehrheit der Institute hält jedenfalls ein Sparpaket von 5,5 Milliarden Euro in diesem und 6,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr für notwendig.Opposition stellt "verheerendes Zeugnis" aus

Kanzler Gerhard Schröder nahm das Gutachten gestern betont gelassen auf. Vorsorglich hatte die Koalition ihre Wachstumsprognose als Spanne zwischen 1,5 und 2,0 Prozent verkauft, um sich nicht selber wieder korrigieren zu müssen. Die Sicht der Union: "Ein verheerenderes Zeugnis" könne man der rot-grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ausstellen, kommentierte CDU-General Laurenz Meyer. Meyer hat freilich gut Meckern. Selbst Rot-Grün geht schon jetzt im Haushalt 2004 von einer Lücke von sechs bis zehn Milliarden Euro aus. Die anhaltende Wachstumsschwäche, ein deutlich geringerer Bundesbank-Gewinn, Mautausfälle, kaum zusätzliche Einnahmen durch die Amnestie für Steuerflüchtlinge, Rückgang bei der Tabaksteuer, höhere Arbeitsmarktausgaben, Ausgleichszahlungen an Länder und Kommunen - macht ein Defizit von 16 Milliarden Euro, zählt hingegen die Opposition in einem Papier genüßlich zusammen. Wer hat Recht? Klar ist, auf Eichel wartet nicht erst mit der Institutsprognose von gestern Schwerstarbeit, um die Neuverschuldung dieses Jahr bei den geplanten 29,3 Milliarden Euro überhaupt halten zu können. In Berlin wird deshalb spekuliert, dass die möglichen Milliarden-Einnahmen aus dem Verkauf von Goldreserven doch nicht allein in den Bildungsbereich fließen, sondern ebenso zum Stopfen von Löchern genutzt werden könnten. Es sperrt sich allerdings einer, der in dieser Frage noch den Ton angeben will: der Kanzler.

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