Von Klinsmann und seinen Jungs lernen

TRIER. Er ist der bekannteste Mediziner Deutschlands. Seine Bücher sind Bestseller: Dietrich Grönemeyer (54). Im TV-Interview sagt er, was er von der Gesundheitsreform hält und warum es den Deutschen besser geht, als es den Anschein hat.

In Ihrem neuem Buch "Lebe mit Herz und Seele" teilen Sie den Lesern mit, dass Lachen gesund ist. Im Hinblick auf die Gesundheitsreform müssten Sie eigentlich ziemlich krank sein, weil Ihnen das Lachen vergangen ist. Grönemeyer: Das ist wirklich nicht mehr zum Lachen. Seit 20 haben wir eine Reform nach der anderen. Inhalte spielen gar keine Rolle mehr. Es geht nicht um die Menschen, nicht darum, wie etwa Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf, Wirbelsäule, Bandscheiben, Diabetes oder Tumore behandelt werden, auch die Qualität der Ärzte und Krankenhäuser interessiert bei der Reform niemanden. Es geht nur noch um Kosten sparen. Wie sieht denn eine Gesundheitsreform à la Grönemeyer aus? Grönemeyer: Wir brauchen mehr Eigenverantwortung und Transparenz. Jeder Patient müsste seine Abrechnung der Behandlungskosten bekommen. Er sieht dann, was mit ihm gemacht worden ist und was es gekostet hat. Dann kann er auch mitdiskutieren. Aber was soll das bringen? Es kann doch einem gesetzlich Versicherten egal sein, wie teuer seine Behandlung ist, solange die Kasse bezahlt. Grönemeyer: Das ist richtig. Daher müssen die Krankenkassen wie eine Auto-Versicherung konzipiert werden. Jeder kann für sich entscheiden, ob er Teilkasko, also eine Grundleistung, oder Vollkasko, also eine Komplett-Absicherung, haben und spezielle Behandlungen mit einem Art Schutzbrief versichern will. Ein Fehler ist auch, dass die Einnahmen aus der Tabaksteuer nicht mehr ins Gesundheitssystem fließen. Das führt dazu, dass vier Milliarden Euro fehlen werden. Warum hört eigentlich keiner auf Sie? Oder wurden Sie im Zuge der Diskussion um die Gesundheitsreform mal von Politikern nach Ihrer Meinung gefragt? Grönemeyer: Nein. Ich bin ein Einzelkämpfer. Ich mache Vorschläge, die ich veröffentliche. Der ein oder andere hört hin und greift dann mal was von mir auf. Ein immer wieder von Ihnen gemachter Vorschlag, in den Schulen das Fach Gesundheit einzuführen, hat bisher noch niemand aufgegriffen. Wie realistisch ist Ihre Forderung? Grönemeyer: Sehr realistisch. Viele Lehrer machen das schon, lesen etwa aus meinem Buch "Der kleine Medicus" vor. Oder - was ganz wichtig ist - sie bringen die Kinder einmal pro Stunde zum Lachen. Das macht das Gehirn frei und aktiviert den Kreislauf. Gesundheits-Unterricht muss aber doch mehr sein, als nur zu lachen. Was sollen die Kinder darin lernen? Grönemeyer: Die Kinder sollen bewusster mit ihrem Leben umgehen, mehr wissen über den eigenen Körper, erkennen, wenn es irgendwo zwickt, dass es nicht immer was Ernstes sein muss. Auch ein ehrenamtlicher Schularzt gehört in jede Schule. Hinzu kommen müssen täglich eine Stunde Sport für jedes Kind und Kochkurse für eine gesunde Ernährung. Wie soll das gehen, in Zeiten, in denen Pisa-Studien den Leistungsdruck auf die Kinder erhöhen?Grönemeyer: Man kann die Kinder zwar zwingen, zu lernen; es bleibt aber trotzdem zu wenig im Kopf, wenn der Kopf nicht frei ist. Daher brauchen wir Bewegung, die den Kopf frei macht, dann passt auch wieder mehr rein. Herr Grönemeyer, Ihr Tag ist ja ausgefüllt, mit Vorträgen, Lesungen, Talkshows, Ehrungen und Reisen. Wissen Sie daher überhaupt noch, wo die Patienten tatsächlich der Schuh drückt? Grönemeyer: Zweieinhalb Tage in der Woche mache ich nichts anderes als Behandeln. Daher kenne ich die Nöte und Ängste der Patienten und auch die der Kollegen sehr genau. Wie lebt es sich eigentlich als Medizin-Papst? Grönemeyer: Ich finde den Begriff total doof. Ich bin nicht der Allwissende, versuche einfach nur zu vermitteln, dass man bei Krankheiten nicht nur an den Körper denken muss, sondern auch an die Seele, dass man eben Geist nicht vom Körper trennen darf. Von den einen geliebt, von den anderen gehasst. Vergangene Woche war im "Spiegel" ein dreiseitiger Verriss über Sie zu lesen. Kollegen von Ihnen werfen Ihnen darin vor, Hokuspokus und Geschäftemacherei zu betreiben. Grönemeyer: Das tut weh. Schade, dass deutsche Ärzte so miteinander umgehen. Das haben wir in Deutschland nicht nötig. Wir müssen unsere Stärken stärken, uns leidenschaftlich engagieren und nicht gegenseitig diskreditieren. Wenn in den USA ein Mediziner einen Preis gewinnt, klopfen ihm Kollegen auf die Schulter und sagen: Das nächste Mal setzt du noch einen drauf. Bei uns ist man dann neidisch. Wird Ihnen in Deutschland grundsätzlich zu viel gejammert? Grönemeyer: Wir jammern auf sehr hohem Niveau. Derzeit geht es uns doch richtig Klasse. Und was machen die Deutschen? Die schauen auf nächstes Jahr und jammern, wie bitter es werden könnte. Mein Motto: Von Klinsmann und seinen Jungs lernen - nach vorne blicken und aufhören, zu jammern. Wir haben schon wieder vergessen, was uns die WM vermittelt hat: Leidenschaft und Begeisterung für die Sache. Brauchen die Deutschen daher Ihr neues Buch, in dem Sie - Verzeihung - banale Alltagsweisheiten aneinander reihen? Grönemeyer: Sie sind nicht banal, sie sind einfach. Die Leser sollen herausfinden, was wichtig und was unwichtig ist und dass Spiritualität zum Leben dazu gehört. Das muss man so einfach wie möglich schreiben, damit möglichst viele Menschen es auch verstehen. Mit Dietrich Grönemeyer sprach unser Redakteur Bernd Wientjes

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