Von Kohl bis Brandt: "Ein Hetzer ist er..."

Provokation, Empörung, Entschuldigung, so ist der Verlauf. Meistens jedenfalls. Denn es gibt auch Fälle, wo nach einigen Tagen eben nicht alles vergessen ist: Vergleiche mit der Nazi-Zeit haben schon Karrieren beendet und das Image von Politikern ruiniert. Und dennoch lassen sie nicht die Finger davon, so wie jetzt Altkanzler Helmut Schmidt. Weil das gewagte Spiel Aufmerksamkeit garantiert und besonders diffamiert, lautet eine simple Erklärung von Experten.

Berlin. "Auch Adolf Nazi war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist es auch", hatte Schmidt in einem Interview gesagt, und seit Tagen sorgt dieser Satz im politischen Berlin für Aufregung. "Senil" sei Schmidt, schimpfen die Linken inzwischen zurück.

Womöglich war es aber auch nur eine bewusste Retourkutsche des Hanseaten: 1982 hatte Lafontaine den damaligen Bundeskanzler mit den Worten angegriffen, Schmidt spreche "von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben." Parteifreunde unter sich.

Blödsinn über die NS-Zeit zu reden, wird von der Öffentlichkeit und vom politischen Gegner bestraft. Manchmal hilft dann auch keine Entschuldigung mehr: Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sorgte im Wahljahr 2002 für Wirbel, als sie die Angriffspläne von US-Präsident George W. Bush auf den Irak als Ablenkungsmanöver von innenpolitischen Problemen kritisierte. Dies sei ja eine "beliebte Methode seit Adolf Hitler". Die Ministerin bestritt die Äußerungen in dieser Form zwar, eine weitere Amtszeit kam aber nicht mehr in Frage. Jetzt leitet sie den Menschenrechts-Ausschuss des Bundestages.

Es muss aber nicht immer ein Vergleich sein, manchmal reicht auch eine schlichte Fehlbewertung, um für Empörung zu sorgen: Der baden-württembergische Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) wurde über Nacht bundesweit berühmt, als er im vergangenen Jahr seinen Vorgänger Hans Filbinger als "Gegner des NS-Regimes" bezeichnete.

Filbinger hatte jedoch in der Nazi-Zeit als Marinerichter an Todesurteilen gegen Wehrmachts-Deserteure mitgewirkt.

Auch Helmut Kohl griff schon mal kräftig daneben: 1986 meinte er über den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, der verstehe etwas von Public Relations: "Goebbels, einer von jenen, die für die Verbrechen der Hitler-Ära verantwortlich waren, war auch ein Experte für Public Relations." Der Goebbels-Vergleich sorgte für jede Menge innen- und außenpolitischer Verwicklung. 2002 dann meinten zwei "Spiegel"-Redakteure im Bundestags-Restaurant gehört zu haben, wie der Alt-Kanzler im kleinen Kreis über den damaligen Parlamentspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) schimpfte: "Das ist der schlimmste Präsident seit Hermann Göring."

Immer wieder Goebbels: Selbst Friedensnobelpreisträger sind vor Ausrutschern nicht gefeit. In einem Fernseh-Streit mit Helmut Kohl entfuhr 1985 dem früheren SPD-Kanzler Willy Brandt folgendes: "Ein Hetzer ist er, seit Goebbels der schlimmste Hetzer in unserem Land." Gemeint war der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler.

Die Liste der Politiker mit verbalen NS-Fehlgriffen ist übrigens noch länger, und sie wird sicherlich noch länger werden.

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