Von grünem Wein und schwarzen Sorgen

BERLIN. "Ich halte vorgezogene Neuwahlen für möglich", sagt FDP-Chef Guido Westerwelle im TV -Interview. Wir sprachen mit ihm über die Grünen, die Union und die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen.

Herr Westerwelle, können Sie Joschka Fischer das Wasser reichen?Westerwelle: Wie ich lese, trinkt er wieder Wein. Fischer ist Ihr doppelter Konkurrent, als heimlicher Grünenchef und als Außenminister. Außerdem liegt er in allen Umfragen weit vor Ihnen. Wie kommt's?Westerwelle: Die Außenminister in Deutschland waren stets die beliebtesten Minister im Kabinett. Bemerkenswerter ist etwas anderes, nämlich die Arbeitsteilung zwischen SPD und Grünen. Die SPD schultert die harten Reformthemen, und die Grünen kümmern sich um dicke Kinder. Heißt das, Sie haben Mitleid mit der SPD?Westerwelle: Nein, aber wäre Joschka Fischer Gesundheitsminister, wäre er auch nicht beliebter als Ulla Schmidt. Was ich kritisiere ist, dass die Grünen mit ihrem verheerenden Anteil am wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands relativ ungestraft davonkommen sollen. Das Dosenpfand von Herrn Trittin etwa hat zehntausende von Arbeitsplätzen vernichtet. Die Grünen sind gegen den Transrapid und gegen die Bio- und Gentechnologie. Arbeitslosigkeit hat in Deutschland eine Farbe: grün. Wie erklären Sie sich dann den Erfolg der Grünen? Sie liegen in Umfragen weit vor der FDP und gelten als modernste Partei, sogar als neue Partei der Besserverdiener. Westerwelle: Man muss ja auch sehr reich sein, wenn man sich die Politik der Grünen leisten will. Sie liegen bei etwa zwölf Prozent, die FDP bei neun. Angesichts der Tatsache, dass die SPD soviel verloren hat, ist der Zuwachs des Koalitionspartners eher bescheiden. Trotz des Niedergangs der SPD ist Bundeskanzler Schröder relativ hoch angesehen, er liegt in den Umfragen weit vor der CDU-Vorsitzenden Merkel. Nun sagt selbst CSU-Chef Stoiber, das "Duo der Zukunft" - Merkel/Westerwelle - habe gegen das Duo der Gegenwart - Schröder/Fischer - keine Chance.Westerwelle: Der geschätzte Kollege Edmund Stoiber hat das unverzüglich dementieren lassen. Im übrigen sind Umfragen immer Momentaufnahmen. Und Beliebtheitsumfragen sind noch weniger aussagekräftig, weil Amtsinhaber mit Herausforderern verglichen werden, die keinen Amtsbonus haben. Sie streben eine Koalition mit der Union an. Teilen Sie die Sicht Ihres Rivalen Wolfgang Gerhardt, dass CDU und CSU noch nicht regierungsfähig sind? Westerwelle: Wolfgang Gerhardt ist ein hervorragender Fraktionsvorsitzender, mit dem ich exzellent zusammen arbeite. Über das uns unterstellte Konkurrenzverhältnis kann ich nur müde lächeln. Sie wollen doch beide das Gleiche… Westerwelle: …den Erfolg der FDP. Und im Falle der Regierungsübernahme das Außenministerium. Westerwelle: Wer welches Amt nach einer gewonnenen Bundestagswahl erhalten soll, werden wir entscheiden, wenn wir Rot-Grün besiegt haben. Persönliche Ambitionen haben zurück zu stehen. Ist die Union gegenwärtig regierungsfähig? Westerwelle: Die Union hat anders als wir in der Steuerpolitik noch kein Konzept, und kommt auch in der Gesundheitspolitik nicht aus der Deckung. Das halte ich für falsch. Die Union wäre gut beraten, hier zu einer Klärung zu kommen. Der Sommer wird beherrscht von einem großen Thema: Hartz IV. Können Sie eigentlich die Sorgen und Nöte der Menschen verstehen, die insbesondere in Ostdeutschland auf die Straße gehen? Westerwelle: Wenn Menschen wirklich um ihre Zukunft fürchten: Ja. Allerdings empfinde ich es als Missbrauch, diesen Protest als Montagsdemonstrationen zu bezeichnen. Die Demonstranten von 1989 waren Freiheitskämpfer. Die heutigen Protest-Anführer sind zu einem großen Teil Besitzstandswahrer und Funktionäre, die die neue Zeit nicht wahrhaben wollen und weniger informierte Menschen aufhetzen. Das gilt insbesondere für die PDS. Fraglos bedeutet Hartz IV aber für viele Menschen einen erheblichen Einschnitt. Sie gehören zu jenen, denen die Reformen noch nicht weit genug gehen. Westerwelle: Klar ist, dass der Sozialstaat in Deutschland an seinen Grenzen angelangt ist. Die Menschen wissen in ihrem Innersten, dass das Land sich verändern muss, wenn wir den Wohlstand halten wollen. Und sie wissen, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Die Erkenntnis, dass es so nicht weiter gehen kann, hilft dem Einzelnen nicht, wenn er unverschuldet arbeitslos wird und in strukturschwachen Regionen keine Chance auf einen neuen Job hat. Westerwelle: Deshalb muss ja die Sozialstaatsreform mit einer neuen Wirtschaftspolitik einher gehen. Beispiel neue Technologien: In anderen Ländern geht die Post ab, wenn es um Investitionen und Arbeitsplätze geht. Bei uns treiben die Grünen Investoren ins Ausland. Glauben Sie, dass sich Rot-Grün wieder berappeln kann und zur Wahl 2006 vielleicht doch noch eine Chance hat? Westerwelle: Wahlen entscheiden sich am Wahltag. Aber ich halte es durchaus für möglich, dass es im Bund vorgezogene Neuwahlen gibt, wenn Rot-Grün bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005 verliert und abgelöst wird. Das Gespräch führte unser Korrespondent Bernard Bernarding.

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