Von wegen toll, Toll Collect!

BERLIN. Toll Collect ist draußen - die LKW-Maut wird wohl ohne das Konsortium deutscher Vorzeige-Konzerne eingeführt. Verkehrsminister Manfred Stolpe hat gestern den Vertrag gekündigt.

Manfred Stolpe (SPD) legte gestern Wert auf ein ganz besonderes Bild von ihm. Mit ausgestrecktem Arm stand der müde wirkende Bundesverkehrsminister längere Zeit im Saal der Bundespressekonferenz hinter dem Podium, den Zeigefinger auf sein Namensschild gerichtet. Das Blitzlichtgewitter war "Mautfred Stolpe", wie Spötter inzwischen in Berlin sagen, gewiss, die symbolträchtigen Fotos damit im Kasten: Ein Mann, der nach einem Kraftakt endlich die Richtung vorgegeben und dem Maut-Betreiberkonsortium Toll Collect den Stuhl vor die Tür gesetzt hat. Und nicht nur das: Die anderen, DaimlerChrysler und Telekom, sind Schuld, sollte die Geste ebenso signalisieren. In einer roten Mappe servierte der Minister elf Stunden nach Beginn der alles entscheidenden Verhandlungen gestern morgen um acht Uhr den drei Vertretern des Konsortiums den Rauswurf - ein Brief, den Stolpe sicherheitshalber vorbereitet hatte, und in dem klipp und klar zu lesen war, dass das jüngste Angebot Toll Collects "technisch, rechtlich und wirtschaftlich nicht akzeptabel ist. Angesichts dieser Lage wird Ihnen das Bundesamt für Güterverkehr die Kündigungsanzeige zum Betreibervertrag übermitteln." Basta, Stolpes Geduld und sein Verhandlungselan hatten sich verflüchtigt. Toll Collect war in den seit Freitag laufenden Verhandlungen lediglich bereit, die Haftungsobergrenze über mehrere Jahre um 300 auf 800 Millionen Euro zu erhöhen. Ein weiteres Beispiel "der Widerwärtigkeiten" (Stolpe) kam noch hinzu: Der Bund, hatte das Betreiberkonsortium verlangt, solle auf Ansprüche wegen des geplatzten Starttermins Ende August verzichten, also insgesamt rund 2,8 Milliarden Euro in den Wind schießen. Stolpe hielt dagegen: Das vorgelegte zweistufige Angebot mit der vollen Mauterhebung ab Ende 2005 bedeute gegenüber dem eigentlichen Vertrag eine Verzögerung von 28 Monaten, der wirtschaftliche Schaden des Bundes belaufe sich daher auf satte 6,5 Milliarden Euro. Die Unternehmen, so der Minister, hätten den Staat wohl nur "als (zu) melkende Kuh" angesehen. Und zwischenzeitlich habe das Konsortium sogar dreist eine einseitige "Abseilregelung" gefordert, mit der eine Kündigung ohne Begründung möglich gewesen wäre, falls das System nicht funktionieren sollte. "Eine Unverschämtheit", hieß es dazu im Ministerium. Das Konsortium habe die Verhandlungen anscheinend bewußt gegen die Wand fahren wollen, "weil es selbst nicht mehr an die eigene Technik glaubt" - von wegen also "toll, Collect!" Noch ist die Tür für das Konsortium aber nicht ganz zu: Zwei Monate haben die beteiligten Firmen Zeit, nachzubessern, erst dann wird die Kündigung wirksam. Das Ministerium wird gleichzeitig neue europaweite Ausschreibungen vorbereiten, die sowohl die satellitengestützte Mauttechnologie "mit Zukunft" als auch die Mikrowellentechnik anderer Anbieter berücksichtigen sollen. Ein Debakel, auch für den Kanzler

Allerdings dürften erneut 36 Monate ins Land gehen, bis ein neues Projekt überhaupt realisiert ist. In sechs Monaten wird daher die alte Eurovignette wieder eingeführt - anstatt 180 Millionen Euro pro Monat durch die Maut werden aber nur lediglich schlappe 40 Millionen Euro in Stolpes leere Kassen fließen. Das Debakel ist zwar insbesondere eines für die Unternehmen, aber auch für den Minister. Monatelang saß er den Versprechungen der Betreiber auf. Personellen Änderungen wolle er nicht im Wege stehen, wenn der Kanzler dies wolle, ließ er gestern durchblicken. Gerhard Schröder stellte sich aber hinter ihn. Kein Wunder, gehört er doch selbst auch zu den Verlieren des Maut-Desasters - ausgerechnet im von ihm ausgerufenen "Jahr der Innovationen" scheitert das Vorzeigeprojekt.

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