Vorwärts und vergessen

BERLIN. Der Tag nach dem Desaster: Die bohrenden Fragen der Presseleute wollte sich Gerhard Schröder nicht antun. Der Kanzler trat nur für ein paar Augenblicke vor die Kameras, um sein lustloses "Statement" abzuspulen.

Ja, diese Wahl sei eine "bittere Niederlage" gewesen, dennoch habe er "nicht die Absicht", den politischen Kurs zu korrigieren, so Schröder. Die Menschen hätten Angst vor Veränderungen, suchte sich der Kanzler das historische Tief zu erklären. Um so mehr brauche es "alle Kräfte" in der Partei, "um den schwierigen, aber richtigen Reformprozess umzusetzen". Sprach's und entschwand in die Sitzung des SPD-Präsidiums. Vorwärts und schnell vergessen: Das war die Botschaft des Parteichefs zum Wahl-Desaster in Bayern. So musste Olaf Scholz einmal mehr die trostlose Genossen-Welt erklären. Schon am Wahlabend war der SPD-Generalsekretär bemüht, das Debakel südlich des Weißwurst-Äquators vergessen zu machen. Und auch nach den Beratungen im Spitzengremium der Partei widmete er dem Thema lediglich fünf Minuten, um sich dann beinah viermal so lang mit dem Beschlussentwurf des Leitantrages zum Bundesparteitag im November zu beschäftigen. Dabei hatte sich über Nacht reichlich innerparteilicher Zündstoff angesammelt. Am stärksten ging der saarländische SPD-Chef Heiko Maas mit der Politik der Bundespartei ins Gericht: "Da läuft einiges schief." Das gelte sowohl "für den Inhalt der Politik, aber auch für die Art, wie sie kommuniziert wird". Die Reformen führten dazu, dass sich immer weniger SPD-Wähler mit der Partei identifizierten, klagte Maas. Die Wahlanalysen geben ihm Recht. So hatte die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer in Bayern stets für die SPD votiert. Beim jüngsten Urnengang gab die Mehrheit (56 Prozent) der CSU den Vorzug. Auch SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler befand, die Bürger kämen "mit der Änderung unserer Politik und mit den eingeleiteten Maßnahmen noch nicht klar". Bundestagsabgeordnete wie der Brandenburger Peter Danckert verlangten derweil eine Kurskorrektur. Der Generalsekretär sieht das anders. "Wenn man sich entschließt, einen steinigen Weg zu gehen, dann darf sich nicht darüber wundern, dass einem die Füße schmerzen", meinte Scholz auf die Frage nach Konsequenzen. Das stärkste Argument für den unbeirrten Reformkurs wäre eine Aufhellung der Wirtschaftslage. "Kommt der Aufschwung, wird alles gut", heißt es in der SPD-Fraktion. Nach dem Absturz in Hessen und Niedersachsen ist für die Genossen aber nur die dritte Wahlniederlage in Bayern greifbar. Das fördert nicht gerade das Zutrauen zum Prinzip Hoffnung. "Noch ein oder zwei weitere Niederlagen dieser Art, und wir können uns auf die Opposition vorbereiten", orakelt der SPD-Abgeordnete Stephan Hilsberg.

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