Warum Merkel Kanzlerin werden muss

Berlin. Soll Angela Merkel erste Bundeskanzlerin Deutschlands werden? Für unseren Berliner Korrespondenten Bernard Bernarding gibt es einige gute Gründe dafür.

Auf den ersten Blick herrscht in Deutschland Frauen-Power. 52 Prozent der 61,9 Millionen Bundesbürger, die am 18. September wählen durften, sind weiblichen Geschlechts. Und diesmal - das gab es noch nie - stand sogar eine Frau an der Spitze einer Partei. Allerdings hat die feminine Komponente nicht gestochen in einem Wahlkampf, der klar von dem "Macho" Gerhard Schröder dominiert wurde. Überhaupt stellt sich bei näherer Betrachtung des Wahlergebnisses heraus, dass es mit der Frauen-Power nicht weit her ist: Nur 35 Prozent der Frauen votierten für Angela Merkel. Wahrlich keine Damenwahl. Dennoch stehen die Chancen nicht schlecht, dass die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin wird. Zwar hat die "kühle Physikerin" ("Spiegel") mit der "herzlosen Sprache" (Edmund Stoiber) kapitale Böcke geschossen. Doch dass Fehleranhäufung kein weibliches Privileg ist, zeigt seit Jahren schon Konkurrent Edmund Stoiber. Nun soll an dieser Stelle keine Geschlechterdebatte geführt werden, doch ist anzumerken, dass die seit Jahrzehnten proklamierte Gleichberechtigung noch immer an einem entscheidenden Punkt hakt: Es gibt Frauen in "Männerberufen", Frauen bei der Bundeswehr, Frauen im Management - aber keine Frauen in den Top-Jobs der Republik. Zwar haben Frauen in der SPD schon früher die Forderung erhoben, eines der beiden höchsten Staatsämter (Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt) müsse endlich mal mit einer Frau besetzt werden. Die Kampagne "Frau statt Rau" verlief 1999 ebenso im Sande wie das Bestreben der Union, die ostdeutsche Professorin Dagmar Schipanski zum Staatsoberhaupt zu küren. Wie stets setzten sich die Herren durch, auch 2004, als Gesine Schwan Horst Köhler unterlag. Ob Merkel es schafft, den aktuellen Nervenkrieg mit der SPD zu bestehen, hängt aber nicht nur von ihrer inneren Stabilität ab, sondern auch - von den Männern. Es sind die ehrgeizigen Ministerpräsidenten der CDU, die Wulffs, Kochs, Müllers, Oettingers, von Beusts, Althaus' und Rüttgers', die den Daumen senken könnten. Solange die Riege der ehemaligen "jungen Wilden" Merkel stützt, kann sie gegen den ausgebufften Taktiker Schröder bestehen. Nach wie vor hat sie die besseren Karten: Die Union stellt die größte Fraktion, kann somit die Kanzlerschaft seriös reklamieren. Leute, die den amtierenden Kanzler gut kennen, glauben übrigens, dass Schröder blufft. Offenbar will er die Preise hochtreiben und erreichen, dass wenigstens das Amt des Bundestagspräsidenten bei der SPD verbleibt. Grotesk erscheint indes sein Versuch, Merkel deshalb zu verhindern, weil er selbst nicht mehr zum Zuge kommen kann. Diesem Ansinnen fehlt auch die innere Logik, denn es ist nicht ersichtlich, wieso ein Kanzler Stoiber oder Roland Koch den Interessen der SPD mehr entsprechen sollte. Zudem wäre ein neuer Kandidat der pure Etikettenschwindel: Merkel stand als Spitzenkandidatin zur Wahl, kein anderer. Ein "Ersatzmann" wäre nicht hinreichend legitimiert, die Bundesregierung zu führen. Also geht es bei diesem spektakulären Führungsstreit auch um ein Stück Glaubwürdigkeit - und um eine Kernfrage: Ist Deutschland nun reif für eine Kanzlerin oder nicht?

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