Warum N minus 1 manchmal zu wenig ist

TRIER. Eine 220 000-Volt-Leitung fiel aus, gleichzeitig schaltete ein Schutzgerät eine Parallelleitung ab. Dieses Zusammentreffen bewirkte die Überlastung und den Ausfall einer dritten Leitung - so erklärt die "RWE Transportnetz Strom" den Ausfall, der am Donnerstag bei über 200 000 Haushalten und Betrieben die Lichter ausgehen ließ.

Sie mussten lange suchen. Als RWE-Pressesprecher Rolf Lorig gestern Morgen zur Pressekonferenz im Trierer Rathaus antrat, konnte er noch keine Erklärung für den totalen Stromausfall anbieten, der zwischen Eifel und Hochwald eine riesige Region für mehrere Stunden vom Stromnetz getrennt hat. "Wir haben die Fehlerquelle identifiziert", meldete Lorig gegen 12 Uhr. Eine 63 Kilometer lange 220 000-Volt-Leitung war ausgefallen. Die Ursache dieses Ausfalls ist jedoch immer noch unklar. Bereits am Donnerstag begannen die Wartungs-Teams der RWE, diese Leitung zu untersuchen. "Wir sind jeden Meter abgefahren", sagte Lorig - eine zeitraubende Angelegenheit, denn die in 30 Metern Höhe liegende Leitung ist 63 Kilometer lang und führt bis ins saarländische Diefflen bei Dillingen. Doch die Suche vom Boden aus brachte kein Ergebnis. Deshalb versuchte es das RWE gestern aus der Luft. Ein Hubschrauber überflog die ausgefallene Leitung, doch auch die Vogelperspektive ermöglichte keinen direkten Durchblick. Um 15 Uhr hieß es immer noch: "Wir arbeiten daran." Von der "RWE Transportnetz Strom", die sämtliche Aktivitäten der RWE Energy-Gruppe rund um das Hochspannungsnetz bündelt, kam gegen 17 Uhr ein erster komplexer Erklärungsversuch. "Ursache der Störung im Höchstspannungsnetz war das Zusammentreffen zweier unabhängiger Ereignisse", erläuterte Jörg Kerlen, Leiter der Unternehmenskommunikation, aus Dortmund. Ereignis Nummer eins war der bereits von Rolf Lorig gemeldete Ausfall der Leitung zwischen Trier und Diefflen - dessen Ursache unbekannt bleibt. Kerlen: "Unsere Fachleute untersuchen den Vorfall." Ereignis Nummer zwei geschah parallel zu diesem Ausfall: Ein Schutzgerät schaltete eine zweite Leitung ab. Warum? Unbekannt. Das führte zu Ereignis Nummer drei: dem überlastungsbedingten Ausfall einer dritten Leitung und der Unterbrechung der Stromversorgung in Teilen von Rheinland-Pfalz und Luxemburg. Dieses Zusammentreffen überforderte die Schutzmaßnahmen des RWE. "Wir arbeiten nach dem Prinzip N minus 1", sagt Kerlen. Das heißt: Wenn ein Bestandteil des Netzes ausfällt, wird diese Lücke durch einen parallelen Bestandteil kompensiert. Da am Donnerstag aber zwei Leitungen ausfielen, hätte man ein Prinzip "N minus 2" gebraucht. Der Stromausfall hat einen wirtschaftlichen Schaden verursacht, dessen Höhe momentan nur geschätzt werden kann. Es gibt einige Stimmen, die von Regressansprüchen an das RWE sprechen. Jörg Kerlens Reaktion: "Der Gesetzgeber hat solche Situationen klar geregelt. Der Netzbetreiber haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit." Von den 16,8 Milliarden Euro, die nach Kerlens Angaben jährlich für die Netznutzung von Verbrauchern gezahlt würden, investiere die Stromwirtschaft zwei Milliarden in die Netze - zu wenig, meint beispielsweise der Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher (siehe Interview unten). Kerlens Reaktion: "Das ist eine Investitionsquote von zwölf Prozent. Damit liegen wir an der Spitze der Branche."

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