Warum Öko-Bauern und Legehennen schwarz-rot sehen

BERLIN/TRIER. Wohin steuert der neue Minister Horst Seehofer in der Verbraucher- und Landwirtschaftspolitik? Die genauen Ziele müssen sich erst noch herauskristallisieren, doch der Koalitionsvertrag gibt die Richtung vor. Der TV hat die wichtigsten Aussagen und Reaktionen darauf zusammengetragen.

Lebensmittelkontrollen - dieses Thema ist durch die Gammelfleisch-Funde der vergangenen Tage in den Fokus gerückt. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht eine bessere länderübergreifende Koordination durch das Bundesamt für Verbraucherschutz vor. "Darüber hinaus sollen privatrechtliche Qualitätssicherungssysteme und die amtliche Lebensmittelkontrolle besser verzahnt werden." Für die Grünen-Expertin Ulrike Höfken ist das eine Weichenstellung für die Abschaffung der staatlichen Lebensmittelkontrolle. An ihre Stelle sollten private Institute im Auftrag der Ernährungsindustrie treten. Angesichts der Gammelfleisch-Skandale unverantwortlich, findet Höfken. Weiteres wichtiges Vorhaben der großen Koalition: das Verbraucherinformationsgesetz . Es solle "den hohen Ansprüchen auf Information gerecht werden", heißt es im Koalitionsvertrag, und zugleich "negative Auswirkungen auf Wirtschaftsbeteiligte, deren Erzeugnisse ohne Beanstandung sind", vermeiden. "Eine Schmalspurlösung", sagt Höfken und bemängelt eine Reduzierung auf gesundheitsgefährdende Produkte. Umweltverbände kritisieren "Kniefall" vor der Industrie

Auswirkungen für alle Konsumenten hat auch der Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik: Künftig sollen konventionelle und Öko-Bauern gleich behandelt werden. Entfällt die staatliche Förderung, könnten Öko-Produkte teurer werden. Auch in punkto Gentechnik wird es Veränderungen geben. Der Koalitionsvertrag sieht eine Novellierung des Gentechnikgesetzes vor. "Die Regelungen sollen so ausgestaltet werden, dass sie Forschung und Anwendung in Deutschland befördern." Die Biotechnologie sei eine wichtige Zukunftsbranche, begründet CDU-Agrar-Experte Peter Bleser diese Bestimmung. Die Wahlfreiheit für Landwirte und Verbraucher bleibe gewährleistet. Genau das bezweifeln Umweltschützer. Tauchen Gen-Pflanzen durch Pollenflug auf Nachbarfeldern auf, soll künftig nicht mehr der Verursacher für den Schaden aufkommen, sondern ein Fonds. "Damit werden Gen-Bauern faktisch aus der Verantwortung entlassen", kritisiert Greenpeace und prophezeit die flächendeckende Ausbreitung gen-veränderter Pflanzen. Damit könnten Verbraucher eben nicht mehr frei zwischen genveränderten und -freien Lebensmitteln entscheiden. Umweltverbände werfen der Bundesregierung einen "Kniefall" vor der Industrie vor. Umstritten ist auch die Ankündigung, für Legehennen "artgerechte Haltungsformen parallel zur Boden- und Freilandhaltung zu ermöglichen". Im Klartext bedeutet das: Es bleibt bei der Abschaffung der Käfighaltung 2007, Hühner können aber in so genannten Kleinvolieren gehalten werden. Während der Bauernverband diese Regelung als Bedingung für das Überleben von Geflügelbetrieben begrüßt, sehen Tierfreunde wie das Bündnis Tierschutz darin eine Wiedereinführung der Käfighaltung durch die Hintertür. Im Kontext des Koalitionsvertrags ist die Zulassung von Kleinvolieren freilich konsequent: Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzstandards sollen künftig EU-weit "auf möglichst hohem Niveau" harmonisiert werden. Deutsche Alleingänge - je nach Standpunkt als vorbildlich gelobt oder als Wettbewerbs-Verzerrung getadelt - wird es damit wohl nicht mehr geben. In einem Punkt setzt die neue Regierung dagegen auf Kontinuität: Nachwachsende Rohstoffe will sie verstärkt fördern.

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