Was sahen die drei Seherinnen?

TRIER. Was hat es mit den Aufsehen erregenden Marienerscheinungen im saarländischen Marpingen auf sich? Heute will Triers Bischof Reinhard Marx nach jahrelanger Prüfung sagen, was die katholische Kirche von dem angeblichen Wunder im Härtelwald hält. Die wahrscheinliche Antwort: "Nicht viel, aber..."

Es ist kurz vor 16 Uhr, als die Glocke der Marienkapelle im Härtelwald läutet, 25 000 Gläubige auf einmal verstummen und gebannt innehalten. Eine mit Rosenkränzen behangene Frau fängt an zu schluchzen und macht ein Kreuzzeichen nach dem anderen. Das Läuten der Glocke kündigt an jenem Oktobernachmittag vor sechs Jahren die letzte von insgesamt 13 "Marienerscheinungen" an, die aus dem saarländischen Marpingen innerhalb weniger Wochen ein deutsches Lourdes werden lassen. Ausgelöst wird der größte Pilgeransturm seit Jahrzehnten von drei selbst ernannten "Seherinnen", einer Lehrerin, einer Hotelangestellten und einer Justizbediensteten. Die zwischen 24 und 35 Jahre alten Frauen behaupten, mit einer "Erscheinung" in Kontakt zu stehen, die sich ihnen als "Muttergottes" zu erkennen gegeben habe. Auch den Heiligen Geist oder Jesus wollen die Frauen ab und an "gesehen" haben. Zum Schluss der "Erscheinungen" sind es zehntausende Marienverehrer aus ganz Europa, die im Härtelwald andächtig den kaum verständlichen Botschaften der "Seherinnen" ("Ich will den Triumphzug meines unbefleckten Herzens in Marpingen beginnen") lauschen. Nicht das erste Mal, dass die 5400-Seelen-Gemeinde im Kreis St. Wendel von Gläubigen geradezu überrannt wird. Die Marienverehrung in Marpingen geht zurück auf ein Gelübde aus dem Jahr 1699. Damals versprachen gläubige Bürger, der Gottesmutter jeden Samstag einen Rosenkranz zu beten, wenn sich die Pest von ihnen abwende. Knapp 180 Jahre später begann die Serie der seitdem nicht enden wollenden umstrittenen Visionen. Am 3. Juli 1876 wollten drei achtjährige Mädchen beim Heidelbeeren-Pflücken eine "weiße Gestalt" gesehen haben. Eltern und Dorfbewohner identifizierten die Erscheinung bald als Jungfrau Maria. Obwohl eines der Mädchen selbst die Vision Jahre später als "einzige große Lüge" bezeichnete, war der Marpinger Marien-Kult fortan - mit einigen Unterbrechungen - nicht mehr zu stoppen. Auch die katholische Kirche konnte dem Treiben bislang keinen Einhalt gebieten. Schon in den 1930er-Jahren verkündete das Generalvikariat, man wolle "dem Aberglauben keinen Vorschub leisten". Der Direktor des Echternacher Klosters, Titular-Bischof Johann Theodor Laurent, war schon kurz nach der ersten "Erscheinung" zu dem Schluss gekommen, die vorgeblichen Visionen seien eine "bloße Nachäffung" von Lourdes. Deutlich auf Distanz zu den angeblichen Marienerscheinungen in seiner Diözese ging vor sechs Jahren neben dem örtlichen Pfarrer Leo Hoffmann ("Inszenierung") auch der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital. Er verbot seinen Priestern sogar, von "Marienerscheinungen" in Marpingen oder von "Seherinnen" zu reden. Dennoch gab Spital eine Untersuchung der Vorgänge in Auftrag - wohl auch, um die damals bisweilen aufgeheizte Stimmung etwas abzukühlen. Spitals Nachfolger Reinhard Marx wird heute die Ergebnisse einer seinerzeit eingesetzten fünfköpfigen Kommission der Öffentlichkeit vorstellen. Zwar gilt auch Marx als Marienverehrer; er machte sich Anfang Oktober sogar noch selbst ein Bild vor Ort und sprach mit Pilgern. Doch dass die Bewertung wesentlich anders ausfallen könnte als die vorhergehenden, wird in Kirchenkreisen bezweifelt. Die angeblichen Erscheinungen wird der Bischof kaum anerkennen, den Segen als Marienverehrungsstätte dürfte Marx dem Ort aber gleichwohl geben.Kleinere Wunder statt Erscheinungen

Egal, wie das Untersuchungsergebnis heute auch aussehen wird: Auswirkungen auf die Marienverehrung in Marpingen wird das Bischofs-Wort kaum haben. Obwohl es in den vergangenen sechs Jahren keine neuen "Erscheinungen" gab, nur angeblich kleinere Wunder wie eine Fingerheilung, pilgern immer noch jährlich mehr als 60 000 Gläubige in den Härtelwald. "Tendenz steigend", sagt Bürgermeister Werner Laub. Kapelle und Pilger-Einrichtungen lässt die Ortsgemeinde gerade auf Vordermann bringen - für 1,3 Millionen Euro.

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