Washingtons zweite Front

WASHINGTON. Mit der Entsendung von zwei Dutzend Langstrecken-Bombern auf die Insel Guam - und damit in Reichweite Nordkoreas - bereitet sich US-Präsident Bush auf ein absehbares Szenario vor: In nur wenigen Wochen mit zwei eskalierenden Krisenherden gleichzeitig beschäftigt zu sein.

Nach Einschätzung der US-Regierung würde Nordkorea den Beginneiner amerikanischen Irak-Invasion dazu nutzen, mit derWiederaufbereitung von Plutonium zu beginnen - und damit dieGrundlage für einen, so sieht es zumindest Washington, weltweitenlukrativen Großhandel mit Atombomben zu legen. Obwohl US-Präsident Bush bisher betont hatte, er hoffe durch diplomatische Aktivitäten eine solche Entwicklung verhindern zu können, so gab es bisher keinerlei Bereitschaft des Weißen Hauses, eine direkte Verhandlungsrunde mit den Stalinisten in Pjöngjang zu eröffnen. Stattdessen setzte man in Washington zunächst bewusst auf die Philosophie, dass der Konflikt vor allem die unmittelbaren Nachbarn Nordkoreas angehe - und deshalb dem Problem multilateral begegnet werden müsse. Doch angesichts der wachsenden Uneinigkeit zwischen den USA und Südkorea über den Umgang mit den nuklearen Ambitionen Pjöngjangs und der Passivität Chinas und Japans gewinnt die militärische Komponente offenbar immer mehr an Bedeutung. US-Präsident Bush hatte am Dienstag gegenüber Medienvertretern deshalb erstmals auch formuliert: "Wenn unsere diplomatischen Bemühen keine Früchte tragen, müssen sie eben auf militärischer Ebene verfolgt werden."

In Washington ist zu erfahren, dass man innerhalb der US-Regierung eine so genannte "rote Linie" gezogen habe, die Nordkorea nicht überschreiten dürfe. "Nordkorea wird aller Voraussicht nach in den nächsten Wochen mit dem Aufbau eines nuklearen Arsenals beginnen, und das müssen wir stoppen." Dabei hoffen Mitarbeiter von Bush, dass eine Wiederaufbereitung von Plutonium letztlich die internationale Gemeinschaft "aufwecken wird" und so zunächst für eine massive diplomatische Druckkulisse sorgt.

Hilft dies jedoch nicht, so will das Weiße Haus ernsthaft jene Aktion in Erwägung ziehen, die bereits 1994 vom damaligen Präsidenten Bill Clinton geplant worden war, aber letztlich nicht ausgeführt wurde: ein begrenzter Luftangriff auf den nuklearen Forschungsreaktor in der nordkoreanischen Stadt Yongbyon.

Angesichts der wachsenden Verständigungsbemühungen zwischen Süd- und Nordkorea geht man in Washington davon aus, dass in einem solchen Fall Nordkorea auf eine Attacke gegen Südkorea verzichtet - zumal das Pentagon immer noch die Option hat, vor einem Luftangriff die US-Truppen aus Südkorea vollständig abzuziehen und somit aus der Schusslinie zu bringen.

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