Weidmann zwischen Spekulation und Kalkül

Berlin/Frankfurt · Dass der deutsche Bundesbankpräsident an die Spitze der EZB rücken wird, ist aus vielen Gründen eher fraglich.

Berlin/Frankfurt Angeblich wollen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, dass mit Jens Weidmann, derzeit Bundesbankpräsident, endlich ein Deutscher oberster europäischer Währungshüter und Nachfolger des Italieners Mario Draghi wird. So wurde kürzlich von mehreren Medien gemeldet. An der Reihe wäre die größte Euro-Nation. Allerdings ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Berufung gelingt. Nicht einmal, dass sie ernsthaft beabsichtigt ist.

Ein Grund: Ein solches Vorgehen passt nicht in die Zeit. Merkel selbst hat gerade festgestellt, dass Europa auf sich allein gestellt ist; das Vorrücken der Populisten, vor allem in Frankreich, steckt allen noch in den Knochen. Angesagt ist jetzt eher eine deutsche Politik, die Frankreich, aber auch Italien, Spanien und anderen Südländern hilft. Und die brauchen Niedrigzinsen als einen Beitrag, um ihre Wirtschaften wieder flott zu machen. Und um ihre Schulden bedienen zu können. Das war Draghis Kurs. Der 49-jährige Weidmann, der vor seinem Amt als Bundesbankpräsident Wirtschaftsberater Merkels im Kanzleramt war, hat sich im EZB-Kreis stets gegen diese Geldpolitik ausgesprochen, zum Teil auch öffentlich. Seine Wahl wäre das Signal: Deutschland will den Zuchtmeister Europas spielen. Zum jetzigen Zeitpunkt fatal. Außerdem hat auch Frankreich für den EZB-Job bereits Interesse angemeldet.

Weidmann hat ohnehin nur geringe Chancen. Und jetzt ist es dafür sowieso viel zu früh. Die Draghi-Stelle wird erst Ende 2019 frei, Anfang 2019 dürfte eine Entscheidung fallen. Die Frage wird dann sein, wie groß das Paket geschnürt wird. Nähme man nur das Kapitel Finanzen, dann wären die Deutschen mit den Chefposten bei Europäischer Investitionsbank und dem Europäischen Rettungsschirm ohnehin schon gut versorgt. Denkbar ist aber auch, dass größer gedacht wird, denn 2019 müssen auch die politischen Chefposten des EU-Kommissionspräsidenten und des Europäischen Ratspräsidenten neu besetzt werden. Die Amtszeiten von Jean-Claude Juncker und Donald Tusk laufen aus. Von den Nachfolgepersonalien hier hängt dann eventuell auch die EZB-Entscheidung ab. Das aber ist derzeit noch nicht kalkulierbar.

Der Vorschlag ist wohl nur taktische Spielmasse. Beobachter in Berlin vermuten, dass die Meldung mit Absicht lanciert wurde. Den Informationen zufolge im Umfeld der IWF-Frühjahrstagung in Washington, an der Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) teilnahm und von der auch etliche deutsche Journalisten berichteten. In diesem Zeitraum tauchte sie auf. Schäuble könnte, mutmaßen die einen, damit eine Verhandlungsposition gegenüber den Franzosen und anderen Euro-Partner aufbauen wollen. Frei nach dem Motto: Eigentlich stünde Deutschland der Posten zu, wo kommt ihr uns entgegen, damit wir verzichten? Andere argwöhnen, er wolle parteiinterne Kritiker beruhigen, die sich seit langem an der lockeren Geldpolitik der EZB stoßen. In der CSU wurde Draghi gar als "Falschmünzer" beschimpft. Die Frage ist freilich, wie ernst die Idee eines deutschen EZB-Präsidenten überhaupt gemeint ist. Denn eigentlich, so ein Berliner Experte, sind Draghi und seine Geldpolitik für Merkel und Schäuble ganz ideal gewesen. Man habe in Berlin politisch und finanziell davon profitiert, und trotzdem immer mit dem Finger auf den Italiener zeigen können.

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