Welche Rolle spielt Deutschland in Europa?

Trier · Über diese Frage können Volksfreund-Leser im September mit dem deutschen Botschafter in Luxemburg diskutieren. Der TV hat vorab im Interview mit einem Trierer Europa-Experten Antworten gefunden, die nicht jedem gefallen werden.

Der Trierer Europa-Experte Joachim Schild ist Professor für vergleichende Regierungslehre an der Universität Trier. Im TV-Interview benennt er die Herausforderungen, die auf Deutschland zukommen. Foto: privat

Der Trierer Europa-Experte Joachim Schild ist Professor für vergleichende Regierungslehre an der Universität Trier. Im TV-Interview benennt er die Herausforderungen, die auf Deutschland zukommen. Foto: privat

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Trier Die einen sehen mit Sorge, wie viel Macht Deutschland hat. Wie dominant es geworden ist. Sie sehen den Schatten der Geschichte wieder über Europa aufziehen. Die anderen fordern, Deutschland müsse noch mehr Verantwortung übernehmen. Seine Führungsrolle in Europa richtig ausfüllen. Finanziell. Solidarisch. Und bitte auch militärisch. Manchem Deutschen wird bei alledem ganz mulmig zumute. Führen. Und aufrüsten. Das ist auch mehr als 72 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur innenpolitisch höchst brisant. Aber was ist die richtige Rolle für Deutschland in Europa? Für Deutschland, das nicht nur wegen seiner zentralen Lage und wegen seiner großen Bevölkerung eine europäische Zentralmacht ist. Sondern auch wegen seiner enormen Wirtschaftskraft und dem Einfluss, den es in den Krisen der vergangenen Jahre ausübte. Über diese Fragen können sich Volksfreund-Leser am 8. September im Medienhaus mit Heinrich Kreft austauschen, der Deutschland als Botschafter in Luxemburg vertritt. Im Rahmen der Diskussionsreihe "Außenpolitik live - Diplomaten im Dialog" (siehe Extra) laden das Auswärtige Amt und der TV ein zu ergründen: "Welches Europa wollen wir?" Unsere Redakteurin Katharina de Mos hat im Vorfeld mit dem Trierer Europa-Experten Joachim Schild, Professor für vergleichende Regierungslehre an der Uni Trier, über die Herausforderungen gesprochen, die auf Deutschland zukommen. Teil 1 unserer dreiteiligen Europa-Serie. Herr Prof. Schild, welche Rolle spielt Deutschland in Europa?Joachim Schild Deutschland spielt seit vielen Jahren eine zentrale Rolle in der EU: in den 50ern, 60ern und bis in die 70er Jahre als Juniorpartner Frankreichs, dann jahrzehntelang gleichberechtigt, und in den letzten zehn, fünfzehn Jahren - seit Frankreich politisch und vor allem wirtschaftlich geschwächt ist - hat Deutschland als dessen Seniorpartner eine Führungsrolle in Europa.Was ändert sich durch die Wahl Emmanuel Macrons?Schild Frankreich erlebt einen Aufbruch mit einem Präsidenten, der eine sehr aktive europäische Agenda verfolgt und ganz bewusst auf Deutschland zugeht, weil es der Schlüsselpartner in Europa ist. Deutschland hat konstruktiv reagiert.Wir werden nach der Bundestagswahl verstärkt Bemühungen sehen, an die deutsch-französische Beziehung der Vergangenheit anzuknüpfen und gemeinsame Reformen voranzutreiben - vor allem im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.Die neue Stärke sieht nicht jeder gerne. Ist Deutschland zu mächtig?Schild Südeuropäische Länder, die unter der Euro-Krise gelitten haben, nehmen das so wahr. Sie werfen Deutschland vor, eine Sparpolitik durchzusetzen, die bei ihnen Massenarbeitslosigkeit verursache, während es selbst exorbitante Leistungsbilanzüberschüsse einfährt. Auch Polen wirft Deutschland Dominanzbestrebungen vor. Das ist eine unbequeme Position für die deutsche Europapolitik. Dabei kann die Bundesrepublik gar kein Interesse an einer einsamen, zentralen Stellung haben. Deutschland braucht Partner, um ein handlungsfähiges politisches Zentrum in Europa zu bilden.Was war denn Deutschlands Part in der Euro-Krise?Schild In der Außenwahrnehmung hatte Deutschland eine absolut zentrale und für viele Länder unerwünscht dominante Position. Die Sparprogramme in den Krisenländern - an denen kein Weg vorbeiführte - sind als einseitig von Deutschland erzwungene Politik betrachtet worden. Die Rolle der Bundesrepublik ist aber zum Teil etwas überschätzt worden, weil sie ihre Vorstellungen in wichtigen Punkten gar nicht durchsetzen konnte. So konnte sie nicht verhindern, dass die neuen europäischen Haushaltsregeln aufgeweicht werden. Und wie stark war der deutsche Einfluss in der Flüchtlingskrise?Schild Im Vergleich zur Euro-Krise weniger stark. Als die Flüchtlingskrise auf ihren Höhepunkt zusteuerte, hat Deutschland eine unglückliche Rolle gespielt: Nicht dadurch, dass es die Tore befristet öffnete, sondern dadurch, dass dieser entscheidende Schritt nicht mit den Nachbarn abgestimmt war. Deutschland hat an Ansehen verloren, weil die Partner zu Recht das Gefühl hatten, dass die Bundesregierung einsame Entscheidungen trifft, die sehr weitreichende Folgen für die Nachbarstaaten haben. Es gab den Vorwurf, dass Deutschland einen Magneten aufstellt, indem es zeigt, dass Einwanderung möglich ist. Und die Sorge, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg machen.Zwar hat Angela Merkel eine zen trale Rolle bei der Verhandlung des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei gespielt, aber als Deutschland versucht hat, Flüchtlinge umzuverteilen, war das nur sehr begrenzt erfolgreich: Nur für 160 000 Menschen wurde dies beschlossen. Die Flüchtlingspolitik dauerhaft solidarisch zu gestalten, war nicht durchsetzungsfähig. Da war die Grenze des deutschen Einflusses zu erkennen. Die Flüchtlingskrise hat die Wahrnehmung, dass Deutschland als uneingeschränkter Hegemon in der Europäischen Union handelt, relativiert.Wie kommen die Deutschen mit ihrer Rolle zurecht?Schild Der entscheidende Unterschied zur Vergangenheit ist: Die anderen Länder erwarten mehr. In der EU wird Deutschland nach dem Brexit größere finanzielle Lasten zu tragen haben. Im Kontext der Euro-Krise wird eine stärkere Solidaritätsleistung Deutschlands gefordert. Aber auch im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. Frankreich wünscht, dass wir mehr für Verteidigung ausgeben und uns aktiver an Auslandseinsätzen beteiligen, etwa in Afrika. Das ist innenpolitisch sehr unbequem und schwer durchsetzbar. Sowohl, was Geldtransfers an andere Staaten angeht - aus guten Gründen, weil diese häufig dauerhaft angelegt sind. Aber auch, was militärische Risikobereitschaft angeht. Da wird im Wahlkampf schnell der Vorwurf der Militarisierung erhoben. Müssen wir umdenken?Schild Ja. Europapolitik wird immer mehr auch zur Innenpolitik. Es ist klar: Wenn ein Staat in der EU Führungsverantwortung haben will, dann ist das mit Kosten verbunden. Mit finanziellen, aber auch mit politischen. Das ist in den Köpfen der politischen Eliten und der Bürger noch nicht richtig angekommen. Was sind die größten Herausforderungen der Zukunft?Schild Die Flüchtlingskrise ist nicht mehr akut, aber mit Migrationswellen wird Europa auf Jahrzehnte konfrontiert sein. Auch die Euro-Krise hat ihren Höhepunkt überwunden, aber es gibt nach wie vor erhebliche Verwerfungen, die Reformen nötig machen. Wir haben zudem erlebt, dass das geografische Umfeld der Europäischen Union immer stärker von Konflikten geprägt ist: Da muss die EU einen aktiveren Beitrag zur Stabilisierung leisten. Eine zentrale Herausforderung für die Union ist es auch, sich so weiterzuentwickeln, dass flexiblere Formen der Integration möglich sind: Nicht jeder Staat muss in allen Bereichen gleich weit mitgehen. Zum Beispiel, indem eine Teilgruppe militärisch enger zusammenarbeitet oder gemeinsam die Außengrenzen schützt. Da kommt Deutschland mit Frankreich eine Schlüsselrolle zu. Interview JOACHIM SCHILDExtra: DISKUTIEREN SIE MIT DEM BOTSCHAFTER!

Welche Rolle spielt Deutschland in Europa?
Foto: Friedemann Vetter (Ve._) ("TV-Upload Vetter"

(Mos) "Welches Europa wollen wir?" Über diese Frage und die Rolle Deutschlands in Europa können Volksfreund-Leser am Freitag, 8. September, mit dem deutschen Botschafter Heinrich Kreft diskutieren, der die Belange der Bundesrepublik in Luxemburg vertritt. Das Auswärtige Amt und der Trierische Volksfreund laden ab 18.30 Uhr im Rahmen der Diskussionsreihe "Außenpolitik live - Diplomaten im Dialog" ins Medienhaus, Hanns-Martin-Schleyer-Straße 8 in Trier, ein. Die Teilnahme ist gratis, eine Anmeldung erforderlich unter Telefon 0651/71990. Zudem gehen wir in unserer kleinen Europa-Serie den Fragen nach, wie der Brexit Europa verändert hat und wie die Region Trier aussähe, wenn es die EU nicht gäbe.

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