Wenn Frau will, steht alles still

SCHAFFHAUSEN. Frauen sind längst aus dem Schattendasein des Mannes herausgetreten. Sie fordern Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Jahrelang haben sie dafür gekämpft. Unserer Gastautorin Maria Graf hat eine junge Frau erzählt, wie sie den Kampf ihrer Mutter erlebt hat und wie sie sich selbst dadurch verändert hat. Maria Graf wurde 1958 in Ollmuth (Kreis Trier-Saarburg) geboren. Seit 1981 lebt sie in der Schweiz, wo sie eine psychologische Beratungspraxis in Schaffhausen hat.

Von Maria Graf Einst waren Frauenrechtlerinnen mutige Einzelkämpferinnen, die sich nicht davon abhalten ließen, in Bereichen mitzureden und zu entscheiden, die sich Männer angeeignet hatten. Was um die Jahrhundertwende begann, wurde in den vergangenen 30 Jahren in riesigen Schritten von einer aktiven Frauenbewegung vorangetrieben. Gleichstellung ist nach wie vor eine Gratwanderung, die offensichtlich noch nicht im alltäglichen Trott zu meistern ist, wie die 23-jährige Katharina aus der Schweiz feststellen musste. Aus dem Schatten des Mannes herauszutreten ist eine Sache, sich dort zu halten, für seine Rechte zu kämpfen, eine andere. Sie gehört zur "postfeministischen Frauengeneration", einer Generation von selbstbewussten und gebildeten Frauen. Sie erzählt, wie sie bereits als Kind den Kampf um Gleichberechtigung und Emanzipation erlebt und verinnerlicht hat, wie sie sich dadurch selbst verändert hat: "Der 14. Juni 1991 war ein besonderer, ein einzigartiger Tag, der sich in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Es war der Tag der Frauen, die erstmals in der Geschichte der Schweiz in dieser Form ihre Rechte einforderten. Sie gingen auf die Straße und mit dabei meine hochschwangere Mutter - und ich, 10-jährig, an der Hand. ‘Mami, wieso streikst du?'- ‘Damit Frauen mehr Rechte bekommen und nicht immer der Mann besser dran ist', hatte meine Mutter geantwortet. Damals hatte ich nicht begriffen. Meine Eltern verstanden sich doch super, warum sollte meine Mutter also gegen meinen Vater sein, gar gegen ihn vorgehen? Überall strömten Frauen zusammen. Gemeinsam zogen sie durch die Straßen und verkündeten laut, was ihnen schon längst nicht mehr passte. Das war mir fremd, und zugleich fand ich es enorm spannend. Ich glaube, den anderen Kindern ging es genauso. Wir staunten nur so, bei all dem, was wir erlebten. So wie überall in der Schweiz, stand auch Schaffhausen Kopf. Überall hingen Transparente, sogar auf Betttücher hatten Frauen mit großen, fett gedruckten Buchstaben ihre Parolen geschrieben. Aus den Fenstern vieler Häuser hingen Alltagsgegenstände, sogar ein Staubsauger und jede Menge Kochtöpfe waren darunter. Die wenigen Männer, die wir sahen, schüttelten meistens den Kopf oder schauten einfach weg. Einige winkten uns auch zu. Ich verstand die Welt nicht mehr. Frauen bestiegen nach und nach ein riesiges Podest und ihre Stimmen tönten laut durchs Mikrophon. ‘Wenn Frau will, steht alles still.' Diesen Satz vergesse ich nie. An diesem Tag war kaum eine Frau zu Hause oder auf der Arbeit anzutreffen. Es war, als ob alle Frauen von Schaffhausen sich vereint hatten. Sogar aus Deutschland waren viele gekommen. Meine Mutter traf sich später monatlich mit ihrer Frauengruppe, die ein buntes Buch zu ihren Sitzungen gestaltete. Kreative Protokollführung nannte sie diese Arbeit und ich freute mich immer ungemein, wenn meine Mutter dieses Buch mit nach Hause brachte. All die feministischen Diskussionen wurden mit Zeichnungen, Sprüchen und Bildern festgehalten, und immer mehr verstand ich, was mir meine Mutter am 14. Juni 1991 mitteilen wollte. Feminismus bedeutet für mich nicht, gegen die Männerwelt ankämpfen, wieder wäre der Mann Mittelpunkt des Strebens. Frau sein, den eigenen Weg gehen, sich trauen, für ihre Rechte kämpfen, den eigenen Wert erkennen und danach leben. Ihre Botschaft hat auch mich überzeugt. Danach lebe ich. Auch heute noch. Wir schreiben den 8. März 2004. Es ist der internationale Tag der Frau. ‘Wir brauchen eine große und starke Frauenbewegung, um soziale Kälte zu verhindern' , fordert die Stimme einer energischen Politikerin durchs Mikrophon. Ich stehe in rot gekleidet, wie die meisten anderen Frauen auch, auf demselben Platz, wie vor 13 Jahren. Doch Power und Energie von damals sind verpufft. Alles geht ein wenig verhalten und eher diplomatisch über die Bühne. Vom Leidensdruck, wie ihn unsere Mütter und Großmütter erlebt hatten, ist kaum mehr etwas zu spüren." Ihre Meinung zum Thema: familie@volksfreund.de

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