Wenn Freunde den Hahn zudrehen

Berlin. Im Energiestreit mit Russland hat Weißrussland gestern die Durchleitung von russischem Öl nach Deutschland und in andere EU-Länder gestoppt. Später kündigte ein Sprecher der staatlichen Betreiberfirma allerdings an, die Pipeline werde wieder in Betrieb genommen.

Die Hauptstadt wirkte wie überrumpelt von der Krise ums Öl - obwohl der Konflikt angesichts verbaler Scharmützel zwischen Moskau und Minsk um Energiepreise zu erwarten gewesen war. Außer einer knappen Bestätigung aus dem Bundeswirtschaftsministerium, dass die überaus wichtige Ölpipeline von Russland nach Deutschland geschlossen worden sei, war gestern Mittag zunächst nichts in Erfahrung zu bringen. Keine Hintergründe, keine Reaktionen. Das politische Berlin musste sich erst einmal sammeln. Dann meldeten sich die Spitzenkräfte der Parteien und der Regierung zu Wort. Aus gutem Grund: Die Sperrung der Leitung von Russland über Weißrussland nach Polen und Deutschland stellte plötzlich die Energiesicherheit der Bundesrepublik massiv in Frage - ein Albtraum für jeden verantwortlichen Politiker. "Ich sehe die Schließung der wichtigen Druschba-Pipeline mit Besorgnis", ließ Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wissen. Die Auswirkungen des Liefer-Stopps auf Deutschland seien aber nicht dramatisch, versuchte er zu beruhigen: "In den Raffinerien lagert ausreichend Rohöl, so dass unsere Versorgung auch bei längeren Lieferausfällen sichergestellt ist." Laut Gesetz muss eine Ölreserve für 90 Tage vorgehalten werden. Unklar war gestern, wer den Hahn zugedreht hatte, ob Weißrussland oder Russland. Am frühen Nachmittag kam dann die erlösende Nachricht, der Betrieb der Pipeline in Richtung Westen werde wieder aufgenommen. Über die Druschba-Leitung kommen pro Jahr etwa 22 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland nach Deutschland. Russland liefert etwa ein Drittel des in der Bundesrepublik benötigten Öls. Doch was passiert, wenn solche Konflikte eskalieren? Das energiepolitische Muskelspiel offenbarte einmal mehr die deutsche Rohstoffabhängigkeit von anderen Ländern - und die Folgen, die damit verbunden sein können. "Wir müssen unabhängiger werden von Importen. Ich glaube, Energie- und Rohstoffkriege können zum Signum dieses Jahrhunderts werden", zeichnete der Staatssekretär im Umweltministerium, Michael Müller (SPD), ein düsteres Bild. Die Sperrung der Pipeline sei ein "erster Warnschuss", so Müller im Gespräch mit unserer Zeitung. "Wir sind aufeinander angewiesen", kommentierte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck das Ereignis. Der Vorgang zeige, wie wichtig die EU-Russland-Initiative der Bundeskanzlerin im Energiebereich sei. Beck lobte zugleich die von der Vorgängerregierung unter Gerhard Schröder auf den Weg gebrachte Gaspipeline durch die Ostsee. Der Vorfall könnte nun auch die Debatte um die Abkehr vom Atomausstieg neu anheizen: Die "weltweit führende deutsche Kerntechnologie" dürfe jetzt erst Recht nicht "abgewickelt" werden, meinte FDP-Chef Guido Westerwelle. Bereits kurz vor dem Lieferstopp hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder den Atomausstieg als Fehler kritisiert.

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