Wenn Oma die Enkelin nicht mehr erkennt

Schon für Erwachsene ist es schwer, zu begreifen, dass ein Mensch, den man kennt und liebt, plötzlich ein ganz anderer wird. Dinge vergisst, Menschen nicht mehr kennt, Fähigkeiten verliert. Wie schwer muss das erst für Kinder sein? Aber in der Realität kommen gerade Kinder oft ganz gut mit Demenzkranken zurecht.

 Einen Menschen respektieren, auch wenn er krank ist: Kathrin Loser und ihre Großmutter. Foto: privat

Einen Menschen respektieren, auch wenn er krank ist: Kathrin Loser und ihre Großmutter. Foto: privat

Trier/Saarburg. Kathrin Loser war 13, als sie merkte, dass mit ihrer Oma etwas nicht stimmte. Die damals 80-Jährige kaufte dauernd Sachen ein, die sie nachher nicht mehr fand, verlegte alles mögliche. Dass es sich um Demenz handeln könnte, ahnte ihre Familie nicht. "Sie hat vieles gut überspielt", erinnert sich die Schülerin.

Irgendwann konnte Oma Anni nicht mehr alleine wohnen. Kathrins Familie nahm sie in ihrem Haus auf, zunächst mit eigenem Haushalt. Aber auch das fiel zunehmend schwerer. "Sie hat schon mal einen Topf mit Wasser auf den Herd gestellt und gemeint, sie hätte für die ganze Familie gekocht", erzählt die heute 17-Jährige. Kathrin selbst und ihr jüngerer Bruder wurden in die Betreuungsarbeit eingebunden.

Enkelkinder besuchen die Oma regelmäßig



"Da muss schon die ganze Familie dahinterstehen", sagt die Schülerin des Trierer Angela-Merici-Gymnasiums, erzählt vom Verzicht auf Urlaub und anderen Einschränkungen. "Aber wir waren uns alle einig, dass wir die Oma so lange bei uns behalten, wie es geht".

Irgendwann ging es dann nicht mehr, und seit Mai 2007 lebt die Oma im Pflegeheim des Brüderkrankenhauses. Ihre Enkelkinder besuchen sie regelmäßig. Sie habe aus der Krankengeschichte ihrer Oma "viel gelernt", sagt Kathrin Loser, "zum Beispiel, jeden Menschen zu schätzen, auch wenn er so schwer krank ist". Sie habe ihre Oma "fast wie ein kleines Kind" erlebt, "dem man alles erklären muss". Aber gerade ihr jüngerer Bruder, selbst noch ein Kind, sei mit der Kranken "immer sehr gut zurechtgekommen".

Ähnliche Erfahrungen, wenn auch aus einem ganz anderen Blickwinkel, hat Marita Schlotter gemacht. Gerade als ihre Tochter Lina vor sechs Jahren auf die Welt kam, erkrankte ihre Mutter an Alzheimer. Eine Doppelbelastung, wie sie Außenstehende schwerlich nachvollziehen können. Marita Schlotter fand Rat und Hilfe bei der Alzheimer-Gesellschaft Region Trier. Sie belegte Kurse und Fortbildungsveranstaltungen, fuhr mit ihrer Mutter zu Betreuungsgruppen. "Die haben mir sehr geholfen, ein Netzwerk aufzubauen", sagt sie rückblickend. Bis heute engagiert sich Marita Schlotter bei der Alzheimer-Gesellschaft, obwohl ihre Mutter vor zwei Jahren gestorben ist: "Ich habe so viel über die Krankheit gelernt, das kann doch auch anderen Menschen noch helfen".

Vor allem hat sie einen großen Erfahrungsschatz, was den Umgang von Kindern und Demenzkranken angeht. Lina sei "ein großes Glück" für ihre Oma gewesen, "durch die Kleine ging es ihr oft gut". Das Verhältnis zwischen Großmutter und Enkelin sei so innig gewesen, sagt Marita Schlotter, "dass sie Lina immer noch wahrgenommen hat, selbst, als sie mich nicht mehr erkannt hat".

Vieler Erklärungen für Lina habe es nicht bedurft, "für die war ihre Knuddel-Oma normal, so wie sie war". Das Bedürfnis nach körperlicher Nähe, nach Berührungen, nach gemeinsamem Singen habe die beiden zusammengeschweißt. Lina durfte beim Baden dabei sein, ihre Oma fönen und eincremen. Im Sommer saß sie draußen auf der Bank, wenn Lina und ihre Freunde im Garten spielten. Und Lina half der Oma, als die langsam das Treppensteigen und das Laufen verlernte.

Als Lina dann doch irgendwann verstehen musste, was mit ihrer Oma war, habe das kindgerechte Buch "Liebe Oma" der Alzheimer-Gesellschaft sehr geholfen, erzählt Marita Schlotter. Auch das Bilderbuch "Omas Apfelkuchen" von Laura Langston sei sehr hilfreich gewesen. Es gibt übrigens eine ganze Reihe von Büchern für alle Altersgruppen bei Kindern (Als Download bei www.alzheimer-forschung.de).

Fotos halten die Erinnerung wach



Viele Fotos von Lina und ihrer Oma sind damals enstanden - sie halten die Erinnerung bei der heute Sechsjährigen wach. Der Umgang mit Demenz ist eine prägende Erfahrung - auch bei Kathrin Loser. Sie beendet gerade ihre Facharbeit in Biologie über dieses Thema. Vor der Erkrankung ihrer Großmutter habe es da gar keine Berührungspunkte gegeben, aber nach dieser Erfahrung "war mir von Anfang an klar, dass ich mich mit dieser Krankheit intensiver beschäftigen will".

In den Herbstferien hat sie im Trierer Demenzzentrum hospitiert, um für ihre Arbeit zu recherchieren. "Ein Glück", sagt sie, "dass es solche Einrichtungen gibt. Wo könnte man sich sonst hinwenden?"

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