Wie der Staat die Deutschen zur Kasse bittet

Berlin · Bei der Abgabenlast hält sich die Bundesrepublik hartnäckig an der Spitze - und liegt weit über dem Schnitt aller 35 OECD-Länder. Was vor allem an den Sozialabgaben liegt. Die neuen Zahlen dürften den Streit über Entlastungen und den Wahlkampf befeuern.

Berlin (dpa) Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung - der deutsche Staat bittet seine Bürger kräftig zur Kasse. Egal, ob alleinstehender Durchschnittsverdiener oder verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern: Die Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben liegt hierzulande weit über dem Durchschnitt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Industrieländer-Organisation OECD.Wie stellt sich die Abgabenlast nach den OECD-Zahlen dar?Für einen Angestellten mit Durchschnittsgehalt, unverheiratet und ohne Kind, mussten in Deutschland 2016 im Schnitt 49,4 Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber) beim Staat abgeliefert werden. Das ist laut OECD derselbe Anteil wie im Jahr zuvor. Arbeitnehmer hatten 2015 also nicht mehr Geld vom Bruttolohn übrig.In der OECD rangiert Deutschland bei alleinstehenden Durchschnittsverdienern mittlerweile auf dem zweithöchsten Platz - nach Platz drei 2015. Was vor allem an den vergleichsweise hohen Sozialabgaben liegt, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden. Nur die Belgier wurden stärker geschröpft. Der OECD-Durchschnitt betrug 36,0 Prozent. Immerhin: Im Jahr 2000 lag der Wert für Deutschland noch bei 52,9 Prozent.Betrifft der Spitzenplatz auch andere Haushaltstypen?Laut OECD liegt auch bei allen anderen untersuchten Haushaltstypen die Belastung in Deutschland über dem Schnitt. Für einen verheirateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern etwa betrug sie 34,0 Prozent. Deutschland liegt damit auf Platz 9 aller 35 OECD-Länder. Der OECD-Schnitt betrug 26,6 Prozent.Wie ermittelt die OECD die Zahlen überhaupt?Nach einheitlichen und transparenten Vorgaben für alle OECD-Staaten. Die Gesamtbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber misst der sogenannte tax wedge - zu Deutsch Steuerkeil. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen den Lohnkosten des Arbeitgebers pro Mitarbeiter und dem Lohn, der dem Arbeitnehmer nach Steuern und Sozialabgaben sowie sozialen Transferleistungen verbleibt. Das ist somit ein Indikator für die Belastung des Faktors Arbeit. Es wird gezeigt, wie viel Kaufkraft der Staat einem Arbeitnehmer durch Steuern und Abgaben nimmt. Noch aussagekräftiger wären die Daten, wenn auch die Belastung durch indirekte Steuern einbezogen würde - wie die Mehrwert- oder Mineralölsteuer. Was laut Ökonomen aber schwierig ist.Würde Deutschland ohne die Sozialabgaben besser abschneiden?Ja. Würde der Vergleich auf die Steuerbelastung beschränkt, dann fiele das Ergebnis für Deutschland besser aus. Denn die Sozialabgaben sind relativ hoch. Daher fielen geringfügige Steuerentlastungen kaum ins Gewicht. Zumal Gehälter stärker gestiegen sind als Steuererleichterungen oder Freibeträge, so dass ein größerer Anteil der Einkommen steuerpflichtig wurde. Ein isolierter Vergleich nur der Steuerlast ist wenig aussagekräftig. Beachtet werden muss aber, dass sich vor allem bei der effektiven Belastung unterer Einkommensbereiche zusätzliche Transferzahlungen auswirken - etwa der Kinderzuschlag, Wohngeld und Bafög.Wie groß sind die Unterschiede unter den OECD-Ländern?Sehr groß. Für Alleinstehende ohne Kinder etwa reicht der Steuerkeil von 54 Prozent der Arbeitskosten in Belgien bis 7 Prozent in Chile. Ein anderes Beispiel: In der Schweiz ist das Leben zwar teuer - dafür sind aber die Gehälter relativ hoch und die Steuer- und Abgabenlast gering. Die Schweiz liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt.Warum ist die Differenz bei Alleinstehenden besonders groß?Hier wirkt sich das in Deutschland umstrittene Ehegattensplitting zugunsten verheirateter Paare aus, das es in den meisten anderen OECD-Staaten nicht gibt. Zwar werden in fast allen OECD-Ländern Familien mit Kindern steuerlich gefördert. In Deutschland aber ist diese Subvention, bedingt durch Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung von nichterwerbstätigen Ehepartnern, besonders ausgeprägt. Die OECD-Experten kritisierten schon öfter, dass diese Steuerregeln die Anreize zur Jobaufnahme verringerten. Hohe Steuern und Abgaben für Zweitverdiener entmutigen vor allem Frauen, erwerbstätig zu werden.Fragen & Antworten Steuern

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