Wie im (schlechten) Film

Berlin. Hollywood-Szenen in Berlin, doch "Oscar"-reif präsentieren sich die Hauptdarsteller nicht. Es geht um die Präsidentschaftskür, und Hauptakteure sind die Chefs der Oppositionsparteien.

Als die Unionsvorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) am späten Dienstag Abend zur Privatwohnung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle in Charlottenburg rasten, hatte der schlechte Film "Wie finde ich einen Präsidenten?" seinen szenischen Höhepunkt. Dutzende Reporter lieferten den Polit-Akteuren eine Verfolgungsjagd, wobei Verkehrsregeln dem Vernehmen nach keine Rolle mehr spielten. Der Einsatz war jedoch auf beiden Seiten umsonst: Auch nach dreistündigem Gezerre im Wohnzimmer Westerwelles konnten sich die Präsidentenmacher nicht auf einen gemeinsamen Namen einigen. Trotzdem brachte das nächtliche Treffen ein Ergebnis - das den ehemaligen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble endgültig zur tragischen Figur machte. Westerwelle lehnte nämlich den gemeinsamen Vorschlag wie erwartet rundweg ab. Schäuble sei in der FDP nicht durchzusetzen, das Risiko des Scheiterns in der Bundesversammlung sei zu groß. Im "Lostopf" blieben nach Informationen unserer Zeitung somit nur noch drei Namen, die dem Vernehmen nach jetzt "ernsthaft diskutiert" werden sollen: Annette Schavan (Kultusministerin in Baden-Württemberg), Paul Kirchhof (Ex-Verfassungsrichter und Steuerexperte) und Horst Köhler (Chef des Internationalen Währungsfonds in New York). Entscheidende Rolle spielt Westerwelle

Die größten Chancen billigte ein hochrangiger Unionsmann am Mittwoch dem früheren Finanzstaatssekretär Köhler zu. Merkel neige zu diesem Namen, sei aber auch gegenüber Kirchhof offen. Kirchhof werde wiederum von Westerwelle favorisiert, weil der hoch angesehene Jurist und Steuerexperte parteilos und deshalb in der FDP "besser vermittelbar" sei. Auch Schavan sei noch im Rennen, doch bevorzuge die CDU-Chefin, die selbst die Kanzlerkandidatur anstrebt, einen Mann für das höchste Staatsamt. Die entscheidende Rolle werde in dieser Frage wohl Westerwelle spielen, hieß es. Allerdings müsse sich der Liberale in seiner Partei absichern, wenn er schon keinen FDP-Kandidaten durchsetzen könne. Westerwelles Ansinnen, der Union den Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt schmackhaft zu machen, war bei Merkel und Stoiber auf Ablehnung gestoßen. Sollte die FDP also Sympathie für Köhler oder Kirchhof zeigen, wäre die Sache wohl entschieden. Zwar stößt Köhler (CDU), der als introvertiert gilt und in der Bevölkerung nahezu unbekannt ist, bei der CSU auf sanfte Vorbehalte, doch "könnte man sich arrangieren", hieß es am Mittwoch in Berlin. Köhler war früher Chef des Sparkassen- und Giroverbandes und Staatssekretär unter Theo Waigel. Aber auch der Katholik Kirchhof wäre eine "akzeptable Persönlichkeit", sagte der Unionsmann. Als "drittbeste Lösung" gelte Schavan, der deshalb Chancen eingeräumt werden, weil sie vielleicht eine weibliche Gegenkandidatur aus dem rot-grünen Lager verhindern könnte. Wie dem auch sei, am Mittwoch hatte sich die Aufregung des hektischen Dienstags etwas gelegt. Am Morgen waren Merkel, Stoiber und Westerwelle abermals zusammen getroffen und hatten eine Sprachregelung vereinbart. Als Stoiber am Mittag vor die Presse ging, war er vom Andrang der Medien so verblüfft, dass er erstmal "Um Gottes Willen" sagte und dann sein "Bedauern" darüber ausdrückte, dass der gemeinsame Unionsvorschlag Schäuble "auf Widerspruch von Seiten des Herrn Dr. Westerwelle gestoßen" sei. Er sei aber nach wie vor optimistisch, einen gemeinsamen Kandidaten präsentieren zu können. Sprachs und verschwand fluchtartig, ohne eine einzige Frage zuzulassen. Ebenso knapp verlief ein Presse-Statement Merkels, die am Nachmittag Dutzende Journalisten in der CDU-Zentrale antanzen ließ, um diese dann mit einer nahezu identischen Erklärung abzuspeisen. Zuvor hatte sie Schäuble in dessen Büro aufgesucht, um ihm die Entscheidung mitzuteilen. Über Verlauf und Atmosphäre dieses (vermutlich frostigen) Gesprächs drang nichts nach draußen. Für den Abend wurden die Präsidien der Parteien einberufen, um die Sachlage zu erörtern. Bei Redaktionsschluss dieser Zeitung lagen noch keine Erkenntnisse über den Verlauf dieser Sitzungen vor. Am heutigen Donnerstag Morgen will Merkel die Unionsfraktion im Bundestag auf einer Sondersitzung unterrichten.

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