Wie unabhängig ist die Justiz?

Die Unabhängigkeit der Justiz gehört zu den Verfassungs-Pfeilern der Bundesrepublik Deutschland. Doch nach Meinung vieler Richter bleibt sie hinter den europäischen Standards zurück. Sie fordern mehr Selbstverwaltung statt der engen Anbindung an die Ministerialbürokratie.

Trier. (DiL) Wer hierzulande vor Gericht steht, kann sicher sein, dass seine Richter keinen Anweisungen von außen unterworfen sind, sondern unabhängig urteilen können. Und mehr noch: Es gibt auch keine Instanz, die etwa durch das "Zuteilen" bestimmter Richter an bestimmte Verfahren Einfluss auf deren Ausgang nehmen könnte. Verteilt wird streng nach einer langfristig festgelegten Geschäftsordnung. Aber das sorgt nach Auffassung der Richter-Organisationen noch nicht für die optimale Unabhängigkeit. Das wurde beim Trierer Amts- und Landrichtertag in der vergangenen Woche deutlich (der TV berichtete). Man habe ein "völlig veraltetes System", mit dem man sich gegenüber den europäischen Kollegen blamiere, befand Heinz Stötzel von der "Neuen Richtervereinigung" (NRV). Und auch sein Kollege Christoph Frank vom Deutschen Richterbund hieb in die gleiche Kerbe: Das deutsche Modell sei "in den Strukturen nicht europafähig" und entspreche zudem "nicht dem Unabhängigkeits-Gebot der Grundgesetzes". Die Kritik der Richter-Funktionäre entzündet sich an der Praxis von Richter-Berufungen und -Beförderungen, an der Zuständigkeit für die Gerichtsverwaltung und an der Budget-Hoheit bei Ausgaben vor Ort. In allen diesen Bereichen ist die "dritte Gewalt" Justiz in Deutschland eng an Parlamente und vor allem an die Exekutive angebunden. Eine Schlüsselrolle spielen hier die Justizministerien. Die meisten europäischen Länder haben dagegen Regelungen gefunden, der Justiz die Hoheit in ihren eigenen Angelegenheiten weitgehend selbst zu übertragen und sie damit vom Einfluss der anderen beiden Staatsgewalten abzukoppeln. Das Mehr an Eigenständigkeit führe auch zu einer höheren Qualität der Arbeit vor Ort, vermutet Heinz Stötzel.Bei aller Einigkeit in der Lage-Analyse fielen die Lösungs-Vorschläge der beiden konkurrierenden Richter-Verbünde durchaus unterschiedlich aus. Stötzel plädierte für tiefgreifende Veränderungen, die eine wachsende Eigenverantwortung mit einer grundsätzlichen Reform des Richter-Wesens verbinden. Nach der Devise "Demokratie statt Hierarchie" sollen die Richter unabhängig von der "Höhe" ihrer jeweiligen Instanz gleich behandelt werden, das "armselige Beurteilungswesen" soll verschwindenn und die Bezahlung analog zur unmittelbaren Funktion statt entlang abstrakter Besoldungsstufen erfolgen. Der Einfluss der Politik bei der Richterwahl soll reduziert und im "Tagesgeschäft" komplett abgebaut werden. Die Gerichte vor Ort übernehmen nach diesem Modell auch die Verantwortung für die Organisation der Dritten Gewalt vor Ort. So weit mochte der Richterbund nun nicht gehen. Christoph Frank schwebt eine Art "Justizverwaltungsrat" aus Richtern vor, der auf Landesebene einen Präsidenten wählt. Der Verwaltungsrat soll mit Parlament und Regierung das Justiz-Budget aushandeln. "Alle Hierarchien einreißen wollen wir nicht", sagte Frank. Mit Spannung warteten die Teilnehmer des Trierer Richtertages dann auf die Stellungnahme des zur Diskussion eingeladenen rheinland-pfälzischen Justizministers Hans-Georg Bamberger. Er räumte ein, dass vieles an der deutschen Struktur "nicht zur unabhängigen Justiz passt". Aber vor einer Reform müsse man die Frage stellen, ob die Justiz "im Sinne des Bürgers nachher wirklich besser funktioniert". Die Verhältnisse in europäischen Staaten mit größerer Selbstverwaltung seien "keineswegs automatisch besser, wenn es zum Beispiel um die Länge von Verfahren geht". Selbstverwaltung sei kein Selbstzweck, und "die Justiz" sei "nicht für sich selber da". Bei den Teilnehmern waren die Meinungen geteilt. So warnte der Präsident des Trierer Verwaltungsgerichts, Georg Schmitt, vor dem Eindruck einer zu starken Abschottung der Justiz. Einige Richter gaben der Hoffnung Ausdruck, ein eigenständiger "Justizverwaltungsrat" könne für eine bedarfsgerechtere Ausstattung der Justiz sorgen - was wiederum andere bezweifelten.Zumindest in einem Punkt herrschte Einigkeit vom Radikalreformer bis zum Minister: Die vom Trierer Landgerichtspräsidenten Wolfgang Krämer geschilderte Praxis, dass für die Anschaffung der neuen Uniform-Jacke eines Justizwachtmeisters im Amtsgericht Saarburg ein dreistufiger Instanzenweg durch halb Rheinland-Pfalz gebraucht wird, ist nicht mehr zeitgemäß.

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