Wir sind Großherzog

TRIER. "2000 Jahre, 2000 Schritte", so hieß einst ein beliebtes Besichtigungs-Programm für Trier-Besucher. Auch die Königlichen Hoheiten von Luxemburg mussten ihr Schuhwerk reichlich strapazieren, als es gestern zu Fuß durch Trier ging. Als Balsam gab’s allerorten freundlichen Beifall vom Volk.

Alle haben sich so richtig fein gemacht für die Großherzogs aus dem Nachbarland. Der OB nestelt noch einmal nervös an der goldenen Amtskette, zwei reizende Kinder halten Blümchen bereit, die Ältestenrats-Mitglieder aus dem Stadtrat stehen in Reih und Glied im schicksten Kommunionsanzug vor der Porta. Sogar der Vertreter der Grünen und die sonst notorisch krawattenverweigernden Journalisten halten sich an diesem Morgen an den gutbürgerlichen Dress-Code. Was ein Staatsoberhaupts-Besuch so alles möglich macht.Selbst der Dirigentenstab leuchtet blau-weiß-rot

Musikchef Istvan Dénes hat ein Luxemburger Fähnchen zum blau-weiß-roten Dirigentenstab gerollt und erwartet auf dem Turm der Porta das Signal zum Abspielen der großherzoglichen Wilhelmus-Hymne. Honorarkonsul Horst Langes trifft ein, auf dem Kopf einen dekorativen australischen Känguruhzüchter-Hut gegen die morgendliche Kühle. Am schicksten aber ist das Trierer Original Johannes Schneider. Der Hobby-Bobby kommt diesmal im Cut mit Melone, und OB Schröer kann erst in letzter Minute verhindern, dass er sich sogleich als Türöffner für die leicht verspätet hinter fünf Polizeimotorrädern eintreffende herrschaftliche Karosse betätigt. Ein paar Hundertschaften von Zaungästen spenden freundlich Beifall, als Henri und Maria Teresa dem Gefährt entsteigen. Der OB macht einen Diener, der von republikanischem Selbstbewusstsein zeugt, der Großherzog grüßt huldvoll-freundlich die Massen. Als die Großherzogin sich zu den Kindern hinunterbeugt, denken zumindest die männlichen Medienvertreter eine Sekunde lang über die Frage nach, ob man bei königlichen Hoheiten das Dekolleté erwähnen darf, ohne diplomatische Verwicklungen zu riskieren. Aber schon sind die ausgesprochen umgänglich und unaffektiert wirkenden Großherzogs nach einem schnellen Fototermin unter den Klängen der Hymne zu den Zuschauern marschiert, um das eine oder andere Schwätzchen zu halten. Fremdsprachenkenntnisse brauchen sie dafür nicht, denn in der ersten Reihe treffen sie gleich auf jede Menge Landsleute. So wie Albertine Staarr aus Remich, die der Großherzogin ein paar Blumen zusteckt. "Ich habe schon bei Henris Großvater am Straßenrand gestanden", sagt sie atemlos. Aber auch die deutschen Adelsfans sparen nicht mit Fähnchen-Winken und Beifall. Eine Menschentraube begleitet den Tross auf dem Weg zum Hauptmarkt. "Der Großherzog ist unglaublich charmant", schwärmt CDU-Ratsfrau Monika Thenot - und weiß sich dabei fraglos mit dem weiblichen Teil der Passanten einig. Stadtführerin Mareile Brewes, Spezialistin für gekrönte Häupter, hat Mühe, ihr geballtes Wissen an den Gast zu bringen, denn der OB betätigt sich nahezu pausenlos als Stadthistoriker. Dreikönigenhaus, Judengasse, Hauptmarkt, schon wieder Blümchen, der Kontakt mit dem Volk reißt nicht ab. Der Flügel-Adjutant regelt diskret das Notwendige

Das Luxemburger Protokoll sieht's gelassen, die Stimmung ist so prächtig wie das Wetter. Der "Flügel-Adjutant", ein elegant herausstaffierter hoher Protokollbeamter mit unübersehbarem Gardemaß, regelt diskret das Notwendige. Nur die betont unauffälligen Herrschaften mit dem Rheinland-Pfalz-Button am Revers, die dauernd leise in ihren linken Ärmel sprechen, wirken etwas angespannt. James Bond vom Innenministerium lässt grüßen. Am Dom wartet schon der Bischof. Genau drei Schritte geht die geistliche Macht der weltlichen entgegen, und dann haben sich zwei gefunden. Es wird gelacht, erzählt, philosophiert, man lauscht bewegt dem Spitzenreiter der Bach-Orgel-Hitparade, den Dom-Organist Josef Still aus dem Schwalbennest darniederprasseln lässt. Beim anschließenden Mittagessen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geht es fröhlich-angeregt zu. Man überzieht im zitronengelb eingedeckten Gotischen Saal trotz nur zweier Gänge (Ricotta-Räucherforellenmousse im Lachsmantel und Seezungenröllchen auf Hummer-Zitronengrasschaum) beträchtlich die protokollarisch Zeitvorgaben. So fallen die Visiten in der Basilika und der Stadtbibliothek etwas knapper aus als geplant. Derweil versammeln sich in den Viehmarktthermen die handverlesenen 200 Gäste für den Bürgerempfang. Die städtische Nomenklatura-Liste musste beträchtlich zusammengestrichen werden, ein diplomatischer Drahtseilakt. Wer trotzdem rein darf, kann sich zu den wirklich Wichtigen der Stadt rechnen. Dafür muss allerdings der Ehepartner draußen bleiben, was manchem erst schmerzhaft am Einlass bewusst wird. Die Ansprachen sind knapp gehalten. Spontaner Beifall brandet auf, als Großherzog Henri von den "lieben Nachbarn" spricht, für die "das Großherzogtum schon lange kein Ausland mehr ist". Ein Viertelstündchen bleibt noch, und der OB schiebt unauffällig die Allerwichtigsten unter den Wichtigen zu einem kurzen Tête-à-tête in die Nähe der Majestäten. Der Aufbruch kommt so plötzlich, dass das intonationssichere AMG-Schüler-Orchester den feierlichen Wilhelmus bis zur Thermen-Tür hinterher schicken muss. Ein letztes huldvolles Winken, und der Ausflug in die Monarchie ist für Trier beendet. Mancher zerdrückt ein Tränchen.

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