"Wirtschaft und Solidarität sind eine Einheit"

BERLIN. Nach Ansicht des SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck bietet die große Koalition gute Voraussetzungen, um den Bürgern mehr Vertrauen und Zuversicht zu geben. Erklärtes Ziel des Brandenburgers ist es, dass die Genossen bei der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2009 deutlich stärkste Kraft werden.

Herr Platzeck, die SPD stellt nicht mehr den Kanzler, und Franz Müntefering ist nicht mehr der oberste Sozialdemokrat. Wie würden Sie den Zustand Ihrer Partei beschreiben?Platzeck: Nach der Niederlage bei der Landtagswahl in Nordhrein-Westfalen Ende Mai waren wir in der schwierigsten Phase der jüngeren Parteigeschichte. Durch einen fulminanten Wahlkampf insbesondere durch den Einsatz von Gerhard Schröder und Franz Müntefering sowie ein gutes Programm sind wir im September wieder auf Augenhöhe zur Union gekommen. Das hätte vorher niemand erwartet. Danach musste eine komplizierte Personalsituation praktisch in wenigen Stunden gemeistert werden. Kurzum, wir haben uns aus einer tiefen Senke wieder herausgearbeitet. Das heißt aber nicht, dass wir uns jetzt bequem zurücklehnen können. Haben Sie sich spontan zum Vorsitzenden der ältesten Partei Deutschlands berufen gefühlt?Platzeck: Es gab mit Blick auf unseren Parteitag im Oktober frühzeitig Gespräche, ob ich als Stellvertreter kandidiere. So gesehen hatte ich mich mit dem Gedanken, mehr Verantwortung für die SPD zu übernehmen, schon vor der Rücktritts-Erklärung Franz Münteferings intensiv beschäftigt. Dann musste schnell entschieden werden. Schließlich standen wir mitten in den Koalitionsverhandlungen. Ich bekenne, dass mein Respekt vor der Aufgabe, Vorsitzender der ältesten deutschen Partei zu sein, auch heute groß ist. Worin sehen Sie die wichtigste Aufgabe der großen Koalition? Platzeck: Die Menschen müssen wieder mehr Vertrauen und Zuversicht bekommen. Dies geht nur, wenn die sozialen Sicherungssysteme so stabil werden, dass die Bürger nicht das Gefühl haben, es handele sich nur um kurzatmige Flickschusterei. Zugleich müssen wir eine wirtschaftliche Dynamik entfalten, die nicht zu Lasten des gesellschaftlichen Zusammenhalts geht. Es gibt Stimmen, die sprechen von Vorfahrt für die Wirtschaft und meinen damit den Abbau von Arbeitnehmerrechten. Ich sehe unsere Zukunft dagegen in einem Modell, wo wirtschaftliche Entwicklung und Solidarität eine Einheit bilden. Für beide Aufgaben ist die große Koalition eine gute Konstellation. Denn über die Grundzüge der sozialen Sicherung waren sich SPD und Union in der Geschichte der Bundesrepublik einig. Diese Gemeinsamkeit muss jetzt neu justiert werden. "Demokratie ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe"

Welche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass die großen Volksparteien von zwei Ostdeutschen geführt werden?Platzeck: Ich will das nicht überbewerten. Ich traue Ostdeutschen und Westdeutschen gleich viel Gutes zu. Der Unterschied, der zum Tragen kommen kann, ist die Lebenserfahrung in der DDR. Wenn man ein System hat in sich zusammenbrechen sehen, dann betrachtet man gesellschaftliche Entwicklung nicht als Naturgesetz. Demokratie ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe. Wie kommen Sie mit CDU-Chefin Angela Merkel klar?Platzeck: Gut. Wir haben eine vernünftige Basis und Respekt voreinander. Für die anstehenden Aufgaben ist das tragfähig. Eine zentrale Aufgabe wird die Gesundheitsreform sein. In der Koalitionsvereinbarung findet sich dazu aber nur eine wohlfeile Absichtserklärung.Platzeck: Der Druck auf die Beiträge zeigt: Wir müssen hier zusammenkommen. Das wird nicht über ein Mischmodell aus den unterschiedlichen Konzepten von SPD und Union gehen. Entscheidend sind die zentralen Ziele: Es darf kein Gesetz werden nach dem Motto: Reich lebt länger. Auch dürfen Kinder mit ihren Gesundheitskosten keine unbezahlbare Belastung für ihre Eltern sein. Sie plädieren für eine stärkere Steuerfinanzierung des Systems?Platzeck: Ich werde jetzt die Debatte der kommenden Monate nicht vorwegnehmen. Aber klar ist, was der Wähler will: ein gerechtes, überschaubares und bezahlbares System mit guter Qualität. Und viele meinen auch, mit ein paar Krankenkassen weniger ließe sich unser Gesundheitssystem genauso gut organisieren. Der notwendige Wettbewerb würde dadurch nicht beeinträchtigt. Im Frühjahr finden drei Landtagswahlen statt, bei denen sich Union und SPD als Konkurrenten gegenüberstehen. Fürchten Sie negative Auswirkungen auf das Regierungsbündnis in Berlin? Platzeck: Wir haben Wahlen vor uns und müssen das Land in einer wichtigen Umbruchphase trotzdem gemeinsam gut regieren. Dabei dürfen beide Volksparteien aber nicht inhaltlich konturlos werden. Für die SPD heißt das: Wir wollen Verantwortung für Deutschland tragen und gleichzeitig neue Ausstrahlung entwickeln, um die Partei im Jahr 2009 wieder deutlich zur stärksten politischen Kraft im Land zu machen. Das ist mein Ziel als Vorsitzender. Und bis dahin gibt es immer wieder Streit? Platzeck: Die höhere Kunst für SPD und Union wird darin bestehen, unterschiedliche Inhalte in einem Wahlkampfstil zu vermitteln, der inhaltlich hart sein mag, aber immer fair sein muss. Der Respekt vor den handelnden Personen muss gewahrt bleiben. In der jüngsten Spardebatte haben Sie sich hinter Finanzminister Peer Steinbrück gestellt. Bedeutet das für Sie auch, dass die neuen Länder nicht mit einem Ausgleich für die Kürzungen der EU-Fördergelder rechnen können?Platzeck: Ich betreibe keine Ost-West-Konfrontation, aber ich verlasse mich auf die Zusagen im Solidarpakt, der ja im Korb II bewusst die Fragen der EU-Finanzierung mit einbezieht. Es ist allen verantwortlich Handelnden klar, dass die neuen Länder eine Förderung brauchen, die wie vereinbart bis zum Jahr 2019 läuft und ihnen danach eine eigenständige Entwicklung ermöglicht. Wenn es im Osten nicht funktioniert, wird es nämlich in ganz Deutschland nicht funktionieren. Franz Müntefering hat gesagt, wenn er in zehn Jahren sein 50-jähriges Parteijubiläum hat, sollten Sie ihm die goldene Ehrennadel der SPD anstecken. Glauben Sie, dass Sie dann noch Vorsitzender sind?Platzeck: Ich bin nicht angetreten, einen Übergang, sondern die Zukunft zu gestalten. Ob das zehn Jahre trägt, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber die Ehrennadel würde ich Franz Müntefering gern übergeben. Das Gespräch führte unser Korrespondent Stefan Vetter.

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