"Wunder von Bochum” fraglich
BERLIN. Kürzlich hat der Bundeskanzler beim Betrachten des Films "Das Wunder von Bern" ein paar Tränen verdrückt. Soweit wird es beim Parteitag der SPD ab heute nicht kommen, auch wenn die Lage der SPD zum Weinen ist.
Erstens ist kein "Wunder von Bochum" zu erwarten, zum zweiten weiß auch Gerhard Schröder nicht, welcher Film im Bochumer "Ruhrcongress" denn nun ablaufen wird: Drama oder dröges Kammerspiel? Nur eins steht fest: Lustig wird es nicht. Selten hat ein Parteitag vor solch düsterem Horizont stattgefunden. Berge von Sorgen und Problemen schleppen die 523 Delegierten in den Kohlenpott, ohne dass irgendeine Hoffnung auf Besserung besteht: Bis auf kümmerliche 25 Prozent ist die einst so stolze Partei abgestürzt, 32 000 Genossen haben die SPD allein im letzten Jahr verlassen. Wahlen wurden in Serie verloren, und weiteres Ungemach droht bei den zahlreichen Landtags- und Kommunalwahlen (und der Europawahl) 2004. Fürwahr kein Anlass zum Optimismus. Entsprechend schwer wird es für die Parteitagsregie, eine Atmosphäre zu schaffen, die das ewig beschworene "Aufbruchsignal" ermöglichen könnte. Wieder mal wird die Hauptlast der Überzeugungsarbeit beim Parteivorsitzenden liegen. Schröder, der mit seiner Partei ja nie recht warm geworden ist, hat es längst aufgegeben, um Zuneigung oder gar "Liebe" zu buhlen. Ihm genügt nach eigenen Worten der Respekt. Doch auch den verweigern ihm immer mehr der zutiefst verunsicherten Genossen. Rechte wie Linke befürchten nun, dass es in Bochum zum dreitägigen "Auskotzen" (ein Vorstandsmitglied) kommt. Zu viel Frust habe sich aufgestaut, genährt vor allem durch das Durchpeitschen der Reformgesetze (Agenda 2010) und die Nötigung der Abweichler, im Bundestag zuzustimmen. Da aber selbst die Verzweifelten sehr genau wissen, dass ein theoretisch denkbares Abwatschen des verantwortlichen Vormannes weder der Partei noch der Regierung weiter hilft, rechnet man in der Parteiführung mit einem anderen Ventil, das sich die Delegierten suchen werden. Vorzeigefrau Nahles soll Linke besänftigen
Manche tippen auf Generalsekretär Olaf Scholz, der wie der Gesamtvorstand zur Wiederwahl ansteht. Doch da Schröder seinem General dem Vernehmen nach den Rücken stärken wird, dürfte Scholz mit einem blauen Auge davon kommen. Auf jeden Fall wird es in der Führungsetage Veränderungen geben, denn die Vize-Vorsitzenden Renate Schmidt und Rudolf Scharping kandidieren nicht wieder. Sie werden nach allgemeiner Erwartung durch die baden-württembergische Landesvorsitzende Ute Vogt (39) und den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (54) ersetzt. Auch im Vorstand wird es neue Gesichter geben, so vermutlich den NRW-Landesvorsitzenden Harald Schartau, Juso-Chef Niels Annen und die Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner. Die Linken sollen besänftigt werden durch das Aufrücken ihrer Vorzeigefrau Andrea Nahles ins Präsidium. Doch die Gralshüter der alten sozialdemokratischen Lehre wollen mehr. Stichworte sind die Bürgerversicherung, die Ausbildungplatzabgabe, und vor allem die "angemessene Besteuerung großer Erbschaften und Vermögen". Kanzler Schröder steht allen drei Punkten skeptisch gegenüber, weiß aber auch, dass er seinen Genossen nicht auch noch die letzten idenditätsstiftenden Themen wegnehmen kann. Der Rest ist Routine. Im Leitantrag ("Unser Weg in die Zukunft") stehen ebenso viele wie leere Worte über die "Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Sicherung von Lebenschancen und Wohlstand". Auch die Linken und die pragmatischen "Netzwerker" haben Papiere entworfen und Anträge vorbereitet. Und Schröder selbst hat sich eines alten Kameraden erinnert, der als einer der letzten Helden der Sozialdemokratie gilt: Ex-Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel soll helfen, die Bochumer Herausforderung zu bestehen. Per Laudatio wird Vogel einen Jubilar ehren, der seit 40 Jahren Parteimitglied ist: Gerhard Schröder.