Zoff um deutsche Soldaten

BERLIN. Der Streit über den Türkei-Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Aufklärungsflugzeugen spitzt sich zu: Während die Opposition angesichts des bevorstehenden Irak-Kriegs eine Entscheidung des Bundestags fordert, halten SPD und Grüne die Einschaltung des Parlaments für überflüssig.

Bundeskanzler Gerhard Schröder bevorzugte gestern die klare Ansage. Ein Bundestagsentscheid über die deutschen Awacs-Soldaten sei unnötig, meinte der Regierungschef im Kanzleramt am Rande eines Treffens mit Lettlands Präsidentin Vaira Vike-Freiberga. Später räumte er ein, dass diese Auffassung seit längerem "heiß diskutiert und umstritten" ist. Damit liegt Schröder zweifellos richtig. Und jetzt, wo ein Irak-Krieg wohl nicht mehr zu verhindern ist, spitzt sich die innenpolitische Auseinandersetzung um diese Frage erneut zu. Womöglich wird sich das Bundesverfassungsgericht einmal mehr mit den Einsätzen befassen müssen. Der Kanzler bleibt dabei: Die Bundeswehr-Angehörigen in den Awacs-Maschinen operierten strikt im Bündnisgebiet, weshalb es keines Parlamentsbeschlusses über ihren Einsatz bedürfe. Kommt es zur Abstimmung, wird's für Schröder heikel

Bislang bewahrte die Opposition in dieser Frage zähneknirschend Ruhe. Damit ist es nun jedoch vorbei, da "die Zeit, in der Schröder ein Mandat im Bundestag für überflüssig halten konnte", abgelaufen sei, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Christian Schmidt. Soll heißen, der Irak-Krieg steht unmittelbar vor der Tür. Schmidt sitzt in dieser Frage in einem Boot mit FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, der den Kanzler bereits am Freitag per Brief aufgefordert hatte, die Zustimmung des Parlamentes zum Einsatz deutscher Soldaten in den Nato-Flugzeugen über der Türkei einzuholen. Neben ihren defensiven Funktionen, schrieb Gerhardt an Schröder, könnten die Awacs auch zur "direkten Heranführung eigener Flugzeuge an die des Gegners zum Zwecke deren Ausschaltung" genutzt werden. Diese offensive Funktion sei im Falle eines Irak-Krieges "sogar eher wahrscheinlich" als die reine Aufklärungsfunktion, schrieb Gerhardt weiter - womit eine Kriegsbeteiligung der deutschen Soldaten vorläge. Und darüber müsse das Parlament "unverzüglich" entscheiden. Dieser Auffassung ist auch Unions-Experte Schmidt: "Die Bundesregierung kann nicht erklären, wie sie sich in der Praxis die Trennung zwischen defensiven Aufgaben und der Beteiligung an Kampfhandlungen vorstellt." Die Koalitionsfraktion ist bislang hingegen noch fest auf Kanzlerlinie. Ein Bundestagsentscheid sei momentan "völlig überflüssig, denn Auftrag und Einsatzregeln für diesen Awacs-Einsatz sind klar und eindeutig auf Überwachung des Bündnisgebietes begrenzt", sagte gestern der grüne Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei. Er vermutet hinter dem Vorgehen der Opposition "einen Versuch, der Koalition so etwas wie aktive Kriegsbeteiligung zu unterstellen". Die FDP will nun noch in dieser Woche einen Antrag zur Awacs-Frage in den Bundestag einbringen und erwägt sogar, per Eilantrag dass Bundesverfassungsgericht anzurufen. Sollte es dazu kommen, rechnen sich die Liberalen gute Erfolgschancen aus. Nach Ansicht von Fraktionschef Gerhardt hat Karlsruhe in einem Urteil 1994 eindeutig die "grundsätzliche vorherige" Befassung des Bundestages fest geschrieben. Damals ging es um den Awacs-Einsatz deutscher Soldaten über Bosnien-Herzegowina im Rahmen der UN-Resolution 781. Sollte der Bundestag in den kommenden Tagen tatsächlich über die Beteiligung deutscher Awacs-Soldaten entscheiden müssen, könnte die Lage für Kanzler Schröder heikel werden - seine Mehrheit im Bundestag ist hauchdünn und in solch einer Frage keineswegs sicher.

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