Zu alt, zu krank, zu träge

Berlin. Die Schüler zu dumm, und jetzt auch noch die Lehrer zu träge. Schon wieder gibt eine neue Studie Anlass zur heftigen Kritik am deutschen Schulsystem.

Bei der Bewertung des deutschen Bildungssystems geht es reihum. Im Dezember 2001 bekamen zunächst die Schüler kräftig eins auf den Deckel, als die Pisa-Studie mit ihren katastrophalen Ergebnissen veröffentlicht wurde. Dem Schock folgten bis heute zum Teil hektische Bildungsdebatten. Vergangene Woche dann ließ die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den nächsten Kracher explodieren: Das deutsche Schul- und Bildungswesen sei miserabel, hieß es. Und nun sind die Lehrer an der Reihe: zu alt, zu träge, zu krank - und gut bezahlt. Das ist das Ergebnis der jüngsten OECD-Expertise. Überraschend sind die gestern vorgestellten Erkenntnisse wahrlich nicht. Wer glaubt schon noch an das Wilhelm-Busch-Bild vom Lehrer Lämpel mit Pfeife vor dem warmen Ofen? Das Neue an der OECD-Studie ist daher eigentlich nur die Bestätigung dessen, was seit geraumer Zeit bekannt ist und diskutiert wird. Deutschlands Lehrer sind Topverdiener im OECD-Vergleich, die Zahl der Unterrichtsstunden liegt dagegen im internationalen Durchschnitt. Die deutschen Pauker sind die ältesten, mehr als rund die Hälfte der Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiallehrer sind über 50.Generationswechsel als Chance zur Reform

Älter sind nur die Pädagogen in Italien. Legt man das gegenwärtige durchschnittliche Renteneintrittsalter von 59 Jahren zugrunde, wird laut Studie etwa die Hälfte der Lehrer in den nächsten zehn Jahren aus dem Dienst ausscheiden. Die Experten folgern daraus, dass zwar sehr viel Kompetenz verloren gehe, der Generationswechsel aber auch die "einmalige Gelegenheit" sei, substantielle Veränderungen herbeizuführen. Als "Besorgnis erregend" bezeichnen die Experten, dass bis zu einem Drittel der Lehrkräfte unter dem "Burn-Out-Syndrom" leiden. 2001 arbeiteten nur sechs Prozent der Pädagogen bis zur regulären Altersgrenze von 65 Jahren - immer mehr Pauker schmeißen den Job lieber frühzeitig hin. Das deutsche Schulsystem befindet sich nach Ansicht der Fachleute ohnehin in "einer schwierigen, aber fruchtbaren Phase des Umbruchs". Unter den Lehrern sei deshalb ein "recht großes Maß an Unsicherheit" festzustellen. Während vor einer Woche noch die Studie zum Bildungswesen vom forschen und wenig rücksichtsvollen deutschen OECD-Vertreter vorgestellt und interpretiert wurde, übernahm den Part diesmal die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Doris Ahnen (SPD), höchstpersönlich. Wollte die KMK dadurch zu harscher Kritik aus dem Weg gehen? Es handele sich nur um den Länderbericht Deutschland, hieß es bei der Konferenz. Die Vergleichsstudie insgesamt werde ja erst Mitte November in Amsterdam veröffentlicht. Dennoch: Ob anwesend oder nicht, die Grundsatzkritik der internationalen Experten war eindeutig: "Die entscheidenden Elemente einer Bildungsreform" seien zwar in Deutschland vorhanden, "wenngleich häufig nur im kleinen Rahmen und in begrenzter Form". Übersetzt heißt das: Das System leidet an zu viel Kleinklein. Die KMK strebe eine umfassende Reform bei der Lehrerausbildung in Deutschland an, betonte die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen. Die Experten der OECD stellen jedoch auch den Beamtenstatus der Lehrer in Frage. Ahnen entgegnete, die berufliche Sicherheit sei ein Anreiz, den Beruf auszuüben. Wenig Spielraum sah sie darin, Lehrer über finanzielle Anreize zu motivieren. Frustrierend, heißt es in der Studie, sei nämlich, "dass die Chancen einer Beförderung äußerst gering sind". Viele Pauker fühlten sich zudem als "einsame Kämpfer", weil es kaum Teamarbeit in der Schule gebe. Die OECD hält die deutschen Lehrer allerdings auch für Fortbildungsmuffel. Laut Verband Bildung und Erziehung (VBE) kommt derzeit jedoch nur jeder zehnte Lehrer in den Genuss einer "staatlichen Fortbildung.

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