Ärzte bitten Patienten zur Kasse

Trier · Der Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), dass Patienten für die Arztbehandlung in Vorlage treten sollen, ist nicht neu. Die rheinland-pfälzischen Ärzte fordern dies bereits länger.

Die Deutschen gehen zu oft zum Arzt. Im Schnitt 18 Mal pro Jahr. Für jeden einzelnen Patienten bleiben da für den Arzt gerade mal acht Minuten für Beratung und Behandlung. Diese „Fließbandmedizin“, wie der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz, Günther Gerhardt, die Behandlung im Minutentakt nennt, soll abgeschafft werden.

Damit die Versicherten weniger oft zum Arzt gehen und die Mediziner wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben, sollen diese für jede Behandlung bezahlen. Das forderte Gerhardt bereits Anfang des Jahres im TV. Wenn zehn Euro Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten die Patienten nicht davon abhielten, häufig zum Arzt zu gehen, dann könnten sie auch die Behandlungskosten selbst bezahlen und dann mit ihrer Kasse abrechnen, argumentierte Gerhardt damals.

„Durch die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit ließen sich viele Kosten durch wegfallende Arztbesuche einsparen“, heißt es in einem Argumentationspapier der KV. Die Gebühren sollten sich aber nicht an denen der gesetzlichen, sondern denen der privaten Krankenversicherung orientieren. Für Privatpatienten gilt die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Für gleiche Leistungen kann der Arzt das bis zu Dreieinhalbfache wie bei einem Kassenpatienten verlangen. Dann ist aber nicht mehr die Krankenkasse Vertragspartner des Arztes, sondern der Arzt.

Da die gesetzlichen Kassen aber nur nach den dort üblichen Sätzen zahlen, würden die Versicherten auf den Mehrkosten sitzen bleiben. Das soll nach Vorstellung von Gerhardt der Eigenanteil der Patienten sein. Und mit dieser Selbstbeteiligung soll die Zahl der Arztbesuche reguliert werden.

Der KV-Chef stützte sich bei seinem Vorschlag auf eine Umfrage unter den 7000 niedergelassenen Ärzten im Land, an der sich 3134 Mediziner beteiligt hatten. 2451 hatten sich für die von Gerhardt bereits im vergangenen Dezember in einem Rundbrief beworbene Kostenerstattung entschieden. Gerhardt wollte Rheinland-Pfalz zur Modellregion dafür machen, wurde aber von seiner Parteifreundin, Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD), zurückgepfiffen. Sie ist eine vehemente Gegnerin der Vorkasse durch die Patienten. Bereits im Februar erteilte sie dem Vorschlag von Gerhardt bei einer Landtagsanfrage eine Absage. Das Risiko der Kosten werde auf die Patienten übertragen, „denn sie können sich nicht sicher sein, dass später alle erbrachten Leistungen des Arztes auch wirklich bezahlt werden“, wiederholte Dreyer gestern gegenüber unserer Zeitung ihre Ablehnung.
Gerhardt, dem nachgesagt wird, Ambitionen gehabt zu haben, rheinland-pfälzischer Gesundheitsminister zu werden, sprach Anfang des Jahres mit dem damals noch neu im Amt befindlichen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler über das Prinzip der Kostenerstattung.

Ein halbes Jahr später nun sorgt Rösler mit dem Vorschlag für Ärger bei den meisten gesetzlichen Krankenkassen und der Opposition. Der FDP-Politiker argumentiert, dass durch das Kostenerstattungsprinzip die Patienten auf ihrer Rechnung sehen könnten, was die Behandlung gekostet habe; das sorge für mehr Transparenz.

Dafür, so Tanja Börner, Sprecherin des rheinland-pfälzischen Ersatzkassenverbandes, sei aber nicht unbedingt die Einführung der Vorkasse notwendig. Es bestünde jetzt bereits die Möglichkeit für gesetzlich Versicherte, sich nach jedem Arztbesuch eine Patientenquittung ausstellen zu lassen, ohne für die Leistungen in Vorlage treten zu müssen.

Auch eine Kostenerstattung ist für gesetzlich Versicherte heute schon möglich. Im Rahmen sogenannter Wahlleistungstarife können entsprechende Verträge abgeschlossen werden. Der Versicherte ist dann ein Jahr lang an die Kasse gebunden. Doch gerade einmal 0,2 Prozent der Versicherten machen davon Gebrauch. Bei der Techniker Krankenkasse wird der Tarif daher Ende des Jahres eingestellt.

EXTRA

Kostenerstattung: Das Prinzip der Kostenerstattung, wie es Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler durchsetzen will, stammt aus der privaten Krankenversicherung.
Der Patient erhält beim Arzt oder in der Apotheke eine Rechnung. Diese kann er dann selbst bezahlen und sich die Kosten dann von der Versicherung erstatten lassen. Oder er reicht die Rechnung über eine sogenannte Abtretungsregelung direkt bei der Versicherung ein. Der Patient zahlt dann nur die vereinbarte Selbstbeteiligung. Ärzte sehen den Vorteil, dass jeder Behandlungsschritt mit festen Eurobeträgen vergütet wird.
Bereits heute kann jeder gesetzlich Versicherte das Kostenerstattungsprinzip wählen. Bei der generellen Einführung der Vorkasse hätten die Versicherten keine Wahl mehr. (wie)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort