Am Ort des Grauens: Merkel besucht Absturzregion

Seyne-les-Alpes · Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch die Gegend in den französischen Alpen besucht, in der am Dienstag die Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord abstürzte. Im Ort Seyne-les-Alpes, drei Kilometer Luftlinie entfernt, herrscht seither Ausnahmezustand.

Immer wieder steigen blau-weiße Hubschrauber von der Rasenfläche hinter dem Supermarkt Intermarché unterhalb von Seyne-les-Alpes auf. Gegen zwölf Uhr mittags am Mittwoch startet eine Gruppe Gebirgsjäger zu der Stelle, wo am Dienstag die Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf an einem Gebirgsmassiv zerschellte. "So etwas habe ich noch nicht gesehen", sagt Laurent Jaunatre von der Bergrettung der Bereitschaftspolizei in Grenoble. Der erfahrene Einsatzleiter, der schon viele Lawinenunglücke miterlebte, überflog am Dienstag im Hubschrauber den Absturzort. "Man kann sich nicht vorstellen, dass da die Überreste eines Flugzeug mit 150 Menschen an Bord liegen", schildert er die traurige Szene. Hunderte kleine Teile sind über eine Fläche von vier Hektar verteilt. "Ich habe nur drei Teile gesehen, die länger als einen Meter waren." Der Rest sind Kleinstteile, die über eine Fläche von 150 Metern Höhenunterschied verstreut liegen. "Pulverisé" sei der Airbus A320, heißt es immer wieder - zu Pulver zerborsten.

Die sterblichen Überreste der Passagiere sollen wahrscheinlich am Donnerstag nach und nach vom Absturzort weggebracht werden. Am Mittwoch sei daran noch nicht zu denken, sagt Jaunatre. Denn zunächst muss die Unglücksstelle gesichert und alles fotografiert werden. Fünf Gendarmen waren damit in der Nacht beschäftigt. Am Mittwoch sind knapp 40 Einsatzkräfte vor Ort, die sich vom Hubschrauber abseilen müssen, da das Gelände so unwegsam ist, dass die Maschinen nicht landen können.

"Wir teilen das Gebiet in Quadrate auf", erläutert Jaunatre das Vorgehen seiner Leute. Das ganze Gebiet zu durchkämmen und die Überreste zu sichern, wird lange dauern. "Das ist eine riesige Aufgabe, die viel Zeit brauchen wird." Von Wochen ist die Rede, vielleicht auch länger. Denn auch die Opfer sind nicht mehr zu erkennen, nur einzelne wenige Leichenteile sind laut Jaunatre noch identifizierbar. "Da ist wohl nur noch eine DNA-Analyse möglich."

Viele Schlafplätze für Angehörige angeboten

In Seyne-les-Alpes, drei Kilometer Luftlinie vom Unglücksort entfernt, herrscht seit dem Absturz am Dienstag Ausnahmezustand. Denn das Bergdorf mit seinen 1500 Einwohnern ist zum Zentrum für Einsatzkräfte und Angehörige geworden. "Wir können das immer noch nicht realisieren", sagt Fanette Borel vom Tourismusbüro. Der für Freitag vorgesehene Markt wurde "wegen der Ereignisse" abgesagt und der Karneval auf den 4. April verschoben. Die Hilfsbereitschaft in dem Ort, der vor allem mit seiner Zitadelle aus dem 11. Jahrhundert wirbt, ist groß: allein bei ihr haben sich 40 Leute gemeldet, die den Angehörigen Schlafplätze zur Verfügung stellen wollen. Die ersten Familien sind bereits am Mittwoch eingetroffen. Die meisten von ihnen reisten nach Digne-les-Bains, rund eine Stunde Autofahrt von Seyne-les-Alpes entfernt.

Dort sollen Ärzte und Psychologen in Notfallteams die Angehörigen betreuen. Auch ein deutsches Konsularteam ist vor Ort, um bei den Formalitäten zu helfen. Zum Gedenken haben die Trauernden zwei Andachtsräume: einen in Seyne-les-Alpes und einen in Le Vernet, zehn Minuten im Auto entfernt. Dort tragen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Francois Hollande am Mittwoch in das Kondolenzbuch ein. Der Ort scheint für die Trauernden besser geeignet als Seyne-les-Alpes, denn von dem Dorf aus ist da Bergmassiv zu sehen, an dem die Maschine am Dienstag zerschellte.

Merkel überfliegt Unglücksstelle im Hubschrauber

Merkel, die sich mit einer dicken schwarzen Daunenjacke gegen die Kälte in den französischen Hochalpen wappnet, will sich ein Bild von der Gegend machen, in der am Dienstag 72 Deutsche tödlich verunglückten. Zusammen mit Hollande überfliegt sie die Absturzstelle am Nachmittag. In einer Lagerhalle neben dem Hubschrauberplatz sprechen sie danach vor hunderten Journalisten über das Drama. Schnell haben die französischen Behörden in dem Hangar drei Podeste aufgebaut und die Flaggen Frankreichs, Deutschlands, Spaniens und Europas dahintergestellt. Seyne-les-Alpes 25. März steht auf den Podesten für die drei Redner: Hollande, Merkel und der spanische Regierungschef Mariano Rajoy. Mit "offenen Armen" habe die Region auf das Ereignis reagiert, sagt Merkel.

Das gilt auch für die rund 400 Journalisten aus aller Welt, die allein nach Seyne-les-Alpes gekommen sind, um über die Bergungsarbeiten zu berichten. Ihre Übertragungswagen beherrschen das sonst so verschlafene Städtchen, in dem die meisten Leute kaum Englisch sprechen. Vom Kultur- und Jugendzentrum wird die Presse von den 300 Gendarmen, die im Einsatz sind, aber streng ferngehalten. Denn in dem Andachtsraum, der dort im Obergeschoss eingerichtet wurde, sollen die Trauernden alleine sein.

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