Böses Erwachen aus dem griechischen Dämmerschlaf?

Brüssel · Athens Partner in der Europäischen Union fordern von der nächsten Regierung die Umsetzung der Schulden-Vereinbarungen. Sie fürchten aber eine lange Phase der Untätigkeit.

Brüssel. Der Tagesordnungspunkt Griechenland, der die Euro-Finanzminister seit Jahresanfang Dutzende Sitzungsstunden lang beschäftigt hat, war beim jüngsten Treffen in Luxemburg innerhalb weniger Minuten abgehakt. Seit Premierminister Alexis Tsipras kurz nach Verabschiedung eines dritten Kreditprogramms Mitte August Neuwahlen ausrief und zurücktrat, liegen die Umsetzung der Hilfsbedingungen und deren Kontrolle auf Eis. Doch der "Dämmerschlaf" der Euro-Krisenmanager, wie einer von ihnen in Brüssel sagt, neigt sich dem Ende entgegen.
Nach der Parlamentswahl vom Sonntag hoffen Athens Geldgeber vor allem auf eine schnelle Regierungsbildung - damit nicht noch mehr Zeit verloren wird. Je später nämlich die Spar- und Reformvorgaben umgesetzt werden, desto unrealistischer wird die der Programmfinanzierung von 86 Milliarden Euro zugrunde liegende ökonomische Prognose. Schon ist davon die Rede, dass für den Bankensektor mehr Geld als bisher erwartet notwendig werden könnte. Langwierige Koalitionsverhandlungen oder gar ein Patt mit abermaligen Neuwahlen gelten in Brüssel als Horrorszenario. Die Übergangsregierung nämlich kann zwar ihre Beamten die erste Programmüberprüfung vorbereiten lassen, die entscheidenden Gesetzesänderungen aber nicht vornehmen. Daran hängt unter anderem die Auszahlung von drei Milliarden Euro aus der ersten Kredittranche, die bis November über die Bühne gehen soll - wenn es wie geplant läuft.
Daran bestehen jedoch Zweifel. Das lässt sich daraus schließen, dass EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die griechischen Parteien kurz vor der Wahl ermahnte, zu ihrem "Wort zu stehen und die Vereinbarung einzuhalten". Schließlich hatte auch die Opposition die harten Reformbedingungen der Gläubiger akzeptiert. Im Wahlkampf waren jedoch teilweise andere Töne zu hören gewesen. Sollte es wieder Probleme bei der Umsetzung geben, so die kaum verhohlene Drohung, die Juncker noch hinterher schob, könne die Unterstützung für Athen doch noch enden: "Die Reaktion der EuroZone wird dann eine andere sein." Ein Regierungsvertreter Belgiens ist noch deutlicher: "Es gibt nur eine Erwartung an die neuen Verantwortlichen in Athen: dass das Vereinbarte umgesetzt wird." So wird das auch im Bundesfinanzministerium gesehen.
Der Anreiz einer jeden neuen Regierung, das mit Tsipras' Vereinbarte in Gesetze zu gießen, ist aber groß. Nicht nur frisches Geld hängt daran. Teil des Abkommens ist auch, über eine Umschuldung des Landes mit längeren Kreditlaufzeiten und niedrigeren Zinssätzen zu verhandeln - vorausgesetzt, die erste Kontrollmission von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank, Weltwährungsfonds und Euro-Rettungsschirm ESM verläuft erfolgreich.
Darüber, welcher Premier dies am ehesten garantieren könnte, gibt es in Brüssel unterschiedliche, parteipolitische Meinungen. Pflichtschuldig teilte etwa Joseph Daul als Präsident der Europäischen Volkspartei mit, Evangelos Meimarakis und seine Nea Dimokratia seien "die einzige politische Kraft, die der griechischen Wirtschaft die notwendige Stabilität verleihen kann". Die Linke äußerte sich ähnlich über Tsipras' Syriza-Bündnis - und hat auf EU-Ebene überraschenderweise viele Unterstützer aus anderen politischen Lagern.
"Viele in Brüssel und anderen EU-Hauptstädten halten Tsipras eher für einen Reformer als Meimarakis von der Nea Dimokratia, die für die alte Klientelpolitik und das Beschützen der Oligarchen steht."zieExtra

Im Gegenzug für die vereinbarten Hilfskredite hat Griechenland Reformen und Einsparungen zugesagt. Hier einige Beispiele: Finanzsystem: Die Banken sollen mehr Kapital bekommen. Eine Insolvenzordnung für Unternehmen und Privatleute soll mehr Sicherheit geben. Zudem soll die Regierung gegen faule Kredite vorgehen. Privatisierungen: Bis Ende Oktober müssen Ausschreibungen für die Häfen von Piräus und Thessaloniki stehen. Auch Regionalflughäfen sollen in private Hände gehen. Verwaltung: Die öffentliche Verwaltung soll modernisiert und effizienter werden. Besondere Vergünstigungen für Staatsangestellte sollen zusammengestrichen werden. Rentensystem: Das griechische Rentensystem gilt als zu teuer. Schon geplante Reformen sollen jetzt umgesetzt werden, Anreize für die Frühverrentung wegfallen, das Regelalter für den Renteneintritt soll auf 67 Jahre klettern. Steuern: Die Regeln gegen Steuerhinterziehung sollen klarer gefasst und die Steuerbehörden gestärkt werden. Auch beim Grundstückskataster will der Staat genauer hinschauen. Bereits von 13 auf 23 Prozent ist die Mehrwertsteuer für viele Bereiche gestiegen.

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