Boko Haram entführt in Nigeria offenbar Hunderte Frauen und Kinder

Abuja (dpa) · Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Nigeria hat Boko Haram erneut zugeschlagen. Die sunnitische Terrormiliz hat womöglich als Racheakt für jüngste Erfolge des Militärs Hunderte Frauen und Kinder entführt. Boko Haram demonstriert mit einer solchen Tat in Nigeria vor der Präsidentenwahl am Samstag einmal mehr ihre Brutalität und Macht.

Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat im Nordosten Nigerias nach Angaben eines örtlichen Beamten womöglich bis zu 350 Frauen und Kinder entführt. Die sunnitischen Kämpfer töteten im Ort Damask nahe der Grenze zum Niger mehrere Menschen und nahmen alle, die nicht schnell genug geflohen waren, als Geiseln, wie der Beamte Usmanu Yusuf am Dienstagabend telefonisch aus der Stadt Maiduguri mitteilte. Womöglich handelte es sich um einen Racheakt, da Damasak erst vergangene Woche von den Armeen des Nigers und des Tschads zurückerobert worden war.

Weder die Regierung noch das nigerianische Militär nahmen zunächst zu den Berichten Stellung. Ein Sprecher des tschadischen Militärs sagte am Mittwoch, er habe keine Informationen zu dem Vorfall. Die Lage blieb zunächst unübersichtlich. Es war auch unklar, wann genau Boko Haram die Frauen und Kinder entführt hatte. Die britische BBC berichtete unter Berufung auf einen Dorfbewohner, dass bis zu 500 Frauen und Kinder entführt worden seien.

Der Beamte in der Hauptstadt des Bundesstaats Borno sagte, er sei informiert worden, dass rund 350 Frauen und Kinder verschleppt worden seien. Der Ort sei von keiner Armee gegen die Angreifer verteidigt worden. "Es war niemand da, sie aufzuhalten", sagte Yusuf der Deutschen Presse-Agentur.

Der Angriff auf Damasak kam nur wenige Tage vor der Präsidentenwahl im westafrikanischen Nigeria am Samstag. Die sunnitischen Boko-Haram-Fundamentalisten haben bereits in der Vergangenheit Massenentführungen verübt. So verschleppten sie etwa vor knapp einem Jahr im Ort Chibok mehr als 200 überwiegend christliche Schülerinnen. Von ihnen fehlt weiter jede Spur. Die Terrormiliz zwingt ihre Geiseln, zum Islam zu konvertieren, versklavt sie oder verheiratet sie zwangsweise.

Boko Haram terrorisiert seit 2009 den Nordosten Nigerias mit dem Ziel, dort einen sogenannten Gottesstaat zu errichten. Bei Anschlägen und Angriffen der Gruppe kamen seither mindesten 13.000 Menschen ums Leben. Rund 1,5 Millionen Menschen sind vor der Gewalt geflohen.

Die Behörden des westafrikanischen Landes schweigen bislang weiter zu dem Vorfall in Damasak nahe der Grenze zum Niger.
Fragen und Antworten


Was passiert mit entführten Frauen und Kinder?

Boko Haram zwingt nicht-muslimische Geiseln, zum Islam zu konvertieren. Frauen und Mädchen werden entweder als Sklaven gehalten oder zwangsweise mit Kämpfern der sunnitischen Fundamentalisten verheiratet. Damit brüstete sich Boko-Haram-Anführer Abubakar Shekau im vergangenen Jahr in einer Video-Botschaft. Entführte Jungen werden einigen Experten zufolge unter Todesdrohungen gezwungen, für die Gruppe zu kämpfen.

Was ist mit den entführten Schülerinnen aus Chibok passiert?

Trotz des internationalen Aufschreis im vergangenen Jahr nach der Entführung von mehr als 200 christlichen Schülerinnen fehlt von den Mädchen weiter jede Spur. Die weltweite Kampagne "bring back our girls" (bringt unsere Mädchen zurück) wurde unter anderem von Prominenten wie der amerikanischen First Lady Michelle Obama unterstützt. Nigerianische Behörden haben zwischenzeitlich verlauten lassen, der Aufenthaltsort der Entführten sei bekannt. Bislang wurde jedoch offenbar keines der Mädchen befreit.

Wie kann Boko Haram scheinbar unbemerkt Hunderte gefangenhalten?

Die Terrormiliz kontrolliert Teile des Nordosten Nigerias. Das Militär hat Boko Haram zuletzt dank der Hilfe von Soldaten aus den Nachbarländern Tschad und Niger etwas zurückgedrängt, aber es gibt immer noch Gebiete, in denen Polizei und Regierungstruppen keinen Einfluss haben.

Wieso gibt es so wenig gesicherte Informationen?

In den drei umkämpften Bundesstaaten im Nordosten Nigerias gilt das Kriegsrecht. Telefonverbindungen sind zumeist gekappt, so dass Informationen nur schleppend und unvollständig nach außen dringen. Nur wenige unabhängige Journalisten kommen in die umkämpften Gebiete, teils wegen des Sicherheitsrisikos, aber auch, weil das Militär den Zugang strikt kontrolliert. Die nigerianische Regierung hat sich bislang eher bemüht, für sie negative Informationen über den Vormarsch Boko Harams zu vertuschen.

Was ist das Ziel von Boko Haram?

Die radikalen Islamisten wollen im Nordosten Nigerias und den angrenzenden Gebieten einen sogenannten islamischen Gottesstaat mit strengster Auslegung des islamischen Rechts gründen. Bei Angriffen und Abschlägen der selbst ernannten Gotteskrieger sind seit 2009 bereits mehr als 13 000 Menschen getötet worden. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind vor der Gewalt geflohen. Boko Haram leistete jüngst auch der im Irak und Syrien aktiven Terrormiliz Islamischer Staat einen Treueschwur, um das gemeinsame Ziel der Errichtung eines Kalifats zu verfolgen.

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