Brüsseler Gipfel erwägt weitere Sanktionen gegen Russland

Brüssel · Nach dem Gespräch von Bundeskanzlerin Merkel mit Kremlchef Putin nimmt auch der EU-Gipfel in Brüssel das Verhältnis mit Russland in den Fokus. Die 28 Staats- und Regierungschefs wollen beraten, ob Moskau trotz der Konflikte in Syrien und der Ukraine auch Partner für die EU sein kann.

Brüssel. Es ist eine Premiere: Theresa May, Regierungschefin des EU-Austrittskandidaten Großbritannien, reiste zu ihrem ersten EU-Gipfel an. Die konservative Politikerin, die sich bislang noch nicht Wahlen stellen musste, steht in Brüssel unter hohem Druck. Sie wollte am Abend ihre 27 Kollegen der anderen EU-Mitgliedsländer über den Stand der Austrittsvorbereitungen informieren.
"Wir werden unsere Rolle als Mitglied komplett erfüllen, bis wir rausgehen", verkündete May nach ihrer Ankunft. "Und wir werden ein starker und berechenbarer Partner werden, sobald wir die Union verlassen haben." Nachfragen ließ sie nicht zu. Sie wollte wohl vermeiden, von den Journalisten in die Zange genommen zu werden.
Der Erwartungsdruck der anderen Regierungschefs beim Thema Brexit war groß. Die Signale, die May beim Parteitag der Tories Richtung Europa gesendet hatte, hatten hochgradig verstörend gewirkt. Sie legen nahe, dass Brüssel und London auf ruppige Austrittsverhandlungen zusteuern. "Wir wollen es schon von ihr direkt hören", hieß es im Umfeld der deutschen Regierung vor dem Gipfel.
Der erste Gipfeltag stand noch sehr unter dem Vorzeichen des Treffens mit Kremlchef Putin am Vorabend im Berliner Kanzleramt. Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande machten in Brüssel deutlich, dass sie vom Gipfel eine "klare Haltung" erwarten. Die 28 Regierungschefs müssten deutlich machen, dass die "unmenschlichen" Taten in Syrien enden müssten, sagte Merkel. Nötig sei "schnellstmöglich ein dauerhafter Waffenstillstand sowie humanitäre Hilfe" für die notleidende Bevölkerung.
Der Entwurf für das Gipfeldokument wurde vorsorglich schon mal verschärft. Nun heißt es: "Sollten die Grausamkeiten anhalten, behält sich die EU alle Optionen offen. Einschließlich weiterer restriktiver Maßnahmen gegenüber Einzelnen und Gemeinschaften, die das syrische Regime unterstützen."
Im Vorfeld des Gipfels hatte es geheißen, die EU wolle die Frage von Sanktionen gegen Russland wegen der Kriegsverbrechen in Syrien nicht forcieren. Nun ist sie zumindest indirekt auf die Tagesordnung genommen worden. Die Entscheidung, ob die seit 2014 laufenden Sanktionen der EU gegen Russland wegen der Ukraine verlängert werden, steht jetzt noch nicht an. Sie soll erst auf dem nächsten EU-Gipfel im Dezember gefällt werden.
Der Gastgeber des Gipfels, EU-Ratspräsident Donald Tusk, hatte in seinem Einladungsschreiben dazu aufgerufen, dass die Mitgliedsländer weiterhin gegenüber Putin mit einer Stimme reden müssten: "Unser wichtigstes Kapital im Verhältnis zu Russland bleibt unsere Einigkeit."
Noch ein unerfreuliches Thema steht auf der Tagesordnung. Ceta, das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, droht am Nein des belgischen Regionalparlaments im französischsprachigen Teil des Landes, Wallonien, zu scheitern. Die Verhandlungen laufen immer noch auf Hochtouren. Bis Freitag- abend soll ein Durchbruch geschafft sein. Bislang zeichnet sich aber keine Lösung ab. Sollte das Regionalparlament nicht einlenken, würde der für die nächste Woche geplante EU-Kanada-Gipfel abgesagt werden müssen, bei dem das Abkommen feierlich unterzeichnet werden soll.
Tusk ist hochgradig alarmiert. Für ihn geht es um die grundsätzliche Frage, ob die EU handlungsfähig bleibt. Es sei eine Katastrophe, "wenn es uns nicht gelingt, die Menschen von der Notwendigkeit der Handelsabkommen zu überzeugen." Tusk erklärte, wenn die Suche nach einem Kompromiss scheitere, "könnte Ceta unser letztes Freihandelsabkommen gewesen sein."

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