"Das ist keine Panikmache, da ist was dran"

Was ist dran an einer möglichen Gefahr durch Granulate auf Kunstrasenplätzen, was sind das für Stoffe und wie real ist die Gefahr für Fußballer? Alfred Ulenberg ist öffentlich besteller Sachverständiger für Sportplatzbau. Im TV-Interview liefert der Experte interessante Einblicke.

"Das ist keine Panikmache, da ist was dran"
Foto: (g_sport

Zahlreiche Fußballclubs schwören auf Kunstrasenplätze, weil sie pflegeleichter als Rasenplätze und auch im Winter fast immer bespielbar sind - können Sie den Hype verstehen?Alfred Ulenberg: Ja, durchaus, das kann ich schon sehr gut verstehen. Kunstrasenplätze haben viele Vorteile, keine Frage. Aber nicht alles daran ist problemlos. Halten Sie den Aufruhr, der aktuell in Holland herrscht - Dutzende Amateur-Fußballer wollen nicht mehr auf Kunstrasenplätzen antreten, weil Wissenschaftler vor möglicherweise krebserregenden Stoffen im Granulat der Plätze warnen - für berechtigt, oder ist das schlicht Panikmache?Ulenberg: Nein, das ist keine Panikmache, da ist was dran. Dort geht es um das schwarze Granulat, das oft zur Verfüllung auf den Kunstrasenplätzen verstreut wird. Es handelt sich dabei um SBR-Granulat (Styrol-Butadien-Rubber). Das wird aus alten geschredderten Autoreifen hergestellt, die wiederum Weichmacher-Öle enthalten. Diese Öle - sogenannte Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) - stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Gefährlich wird's dann, wenn das Granulat durch UV-Strahlung, Feuchtigkeit und Wärme spröder wird und diese Öle freigesetzt werden. Wie sieht die Gefahr aus?Ulenberg: Dieses Granulat dünstet aus und färbt ab. Besonders Kinder und Jugendliche sind dabei gefährdet. Sie sitzen häufig am Boden und kommen mit dem Granulat in Berührung, wenn sie das Granulat in die Hand nehmen und damit spielen. Eine Folge sind schwarzgefärbte Hände. Ein Alarmzeichen, denn über die Haut nimmt der Mensch solche Giftstoffe auf. Bezeichnend ist Folgendes: Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt: ,Sollte ein adäquates Ersatzmaterial zum SBR-Granulat zur Verfügung stehen, welches bei gleicher Funktionalität keine potenziell gesundheitsschädlichen Substanzen wie PAK bei Hautkontakt freisetzen würde, sollte man im Sinne des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes dessen Einsatz empfehlen." (Das Schreiben vom 6.2.2013 liegt der Redaktion vor). Dennoch sind sie auf den Kunstrasenplätzen immer noch vorhanden. Es gibt mittlerweile auch ummanteltes SBR-Granulat - ist das sicherer?Ulenberg: Nein, da die Ummantelungsschicht mit der Zeit durch äußere Einflüsse verschwindet. Im Gebiet des Fußballverbands Rheinland gibt es rund 150 Kunstrasenplätze. Ist das Thema SBR-Granulat denn in unserer Region überhaupt existent?Ulenberg: Das ist ein großes Thema. Das SBR-Granulat wird auch heute noch auf Kunstrasenplätzen verwendet, auch von Firmen in Deutschland. Das ist eine reine Kostenfrage: Wenn der Verein oder die Gemeinde einen kostengünstigen Platz will, dann kommt das billige SBR-Granulat zum Einsatz. Interessant ist auch, dass viele Hersteller von Kunststoffrasenplätzen Sponsoringverträge mit regionalen Fußballlandesverbänden eingegangen sind. Dort werden dann schon mal Vorträge gehalten, bei denen Vereinen erzählt wird, was sie bauen sollen. Kritische Themen - wie die gesundheitliche Verträglichkeit des SBR-Granulates - werden dann allerdings nicht angesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass Vereine und Kommunen genügend über die Gefahren auf Kunstrasenplätzen wissen?Ulenberg: Nein, definitiv nicht. Welche Alternativen gibt es zum SBR-Granulat?Ulenberg: Eine Alternative ist das sogenannte EPDM-Granulat. Das ist grün, besteht aus Neu-Gummi und ist deutlich teurer als SBR-Granulat. Aber ich muss dazu sagen, dass auch darin Weichmacher-Öle enthalten sein können. Aus meiner Erfahrung ist Sand die sicherste Befüllung. Aber viele Verantwortliche wollen das Teppich-Gefühl auf dem Platz, und das gibt es eben nur mit Granulaten. Man muss abwägen: Teppichgefühl oder Sicherheit. Fakt ist: Mit allen Granulaten, die wir bisher hatten, hat es Probleme gegeben. Um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, müsste man sagen: Wir spielen gar nicht mehr auf granulatverfüllten Kunststoffrasen, sondern entweder auf mit Sand verfüllten oder komplett unverfüllten Plätzen. Ist das auch ein Problem bei Hockey-Plätzen?Ulenberg: Nein, weil die in der Regel nicht mit Granulat verfüllt werden. Was raten Sie Vereinen oder Kommunen, die nun unsicher sind, ob sie eventuell einen Platz mit SBR-Granulat haben?Ulenberg: Sie sollten sich bei der Firma melden, die den Platz gebaut hat und dort nachfragen. Sinnvoll wäre es sicher auch, dass die Kommunen Prüfungen in Auftrag geben, um herauszufinden, welche Granulate auf den Plätzen in ihren Städten liegen. Ein Austausch des SBR-Granulates gegen ein Granulat aus Neu-Gummi ist möglich, allerdings sollte dies erst nach Rücksprache mit dem Hersteller des Kunststoffrasens erfolgen. Die meisten Hersteller verweisen darauf, dass ihre Beläge der Din 18035-7 Kunststoffrasensysteme entsprechen. Die Norm enthält Umweltempfehlungen allerdings nur für den Pfad Boden und Grundwasser. In der Norm sind keine Anforderungen für den Schutz der Sportler in Bezug auf die Freisetzung von Schadstoffen aus Kunststoffrasen und Füllgranulaten enthalten. Glauben Sie denn, der Kunstrasenboom in Deutschland hält weiterhin an?Ulenberg: Ja, davon gehe ich schon aus. Denn wenn ein Verein einen Kunststoffrasen hat und der Nachbarverein nicht, dann wandern Spieler ab. Der Boom wird durch diese Medienberichte nicht abebben. mfrExtra

Alfred Ulenberg ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Sportplatzbau und seit 1980 Mitglied im Din-Ausschuss 18035-7 Kunststoffrasen. Der Landschaftsarchitekt leitet gemeinsam mit einem Partner ein Büro für Sportstätten- und Grünplanung in Straelen am Niederrhein. Ulenberg ist zudem Mitglied im RAL-Güteausschuss Kunststoff- und Kunststoffrasenbeläge in Sportfreianlagen. mfr

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