Brüssel will die Rechte von Verbrauchern bei Käufen in der digitalen Welt neu regeln

Brüssel · Um die Rechte des Verbrauchers bei digitalen Dienstleistungen ist es in der Welt des Internet noch schlecht bestellt. Das könnte sich bald ändern: Brüssel hat sich vorgenommen, die Rechte von Verbrauchern an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Die Kommission hat dafür vergangenes Jahr einen Vorschlag gemacht, nun läuft das parlamentarische Verfahren.

Das ist ärgerlich. Um das Spiel des Lieblingsvereins zu sehen, hat der Kunde eigens eine App im Internet heruntergeladen. Nicht eine der vielen Gratis-Anwendungen, die es gibt, sondern eine kostenpflichtige. Und dann springt die App nicht an. Es funktioniert nicht, die Minuten nach dem Anstoß rinnen dahin. An wen soll sich der Fußballfan wenden? Hat er eine Chance, Schadenersatz für die entgangene Spielfreude zu bekommen?

Bislang ist es schwierig. Wer es versucht scheitert. Gerade haben sich die beiden Spezialisten im Europaparlament, Evelyne Gebhardt (SPD) und Axel Voss (CDU), die Berichterstatter im neuen Gesetzgebungsverfahren, abgestimmt. Ihr Bericht wird derzeit in die offiziellen EU-Sprachen übersetzt und Ende November erstmals in den Ausschüssen im Parlament diskutiert.Regelungen sind kompliziert

Die EU hat sich damit viel vorgenommen. Bislang hat sich kein EU-Mitgliedsland zugetraut, eine vergleichbare Regelung zu treffen. Das ist kein Zufall: Es ist kompliziert, weil die Geschäftsmodelle im Netz, zu denen die neuen Vorschriften passen müssen, vielfältig sind und permanent neue dazu kommen. Der Anspruch der gesetzgeberischen Operation ist also groß. Noch ist nicht absehbar, ob sich die EU dabei nicht übernimmt.

Zurück zur defekten Fußball-App: Die meisten Apps sind in diesen Tagen gratis. Der Verbraucher zahlt für die digitale Dienstleistung also kein Geld. Irgendwie zur Kasse gebeten wird er dennoch, er zahlt ja mit seinen Daten. Die App verschafft sich Zugang zu vielen persönlichen Daten des Benutzers. Es geht um seine Kontakte in den sozialen Netzwerken, es geht um seine Bewegungsdaten, um seine Fotos. Es geht häufig um den Datenschatz, aus dem dann adressatengerecht Werbung zusammengestellt wird. Daten sind die Währung, in der im Netz bezahlt wird.

An dieser Stelle plant Brüssel eine regelrechte Revolution. Künftig sollen die persönlichen Daten, die der Verbraucher den Googles, Facebooks & Co. zur Verfügung stellt, rechtlich behandelt werden wie Geld. Das heißt: Die Daten sollen künftig vertragsrechtlich als geldwerte Gegenleistung angesehen werden. Sie sind damit die Basis dafür, dass der Verbraucher völlig neue Ansprüche gegenüber den Digital-Unternehmen erwirbt. Auch bei Apps und anderen Dienstleistungen, bei denen kein Geld fließt, bekommt der Verbraucher dann den Anspruch zu reklamieren oder Schadenersatz geltend zu machen. Etwa wenn die App einen Trojaner enthält und Schaden am Handy anrichtet.Einheitliche Rechte

Im Fall der defekten Fußball-App könnte dies heißen: Auch bei einer Kostenlos-App könnte der Fan, der das Tor seiner Lieblingsmannschaft in der 15. Spielminute verpasst, dann Schadenersatz fordern. Noch ist es Zukunftsmusik. Dass aber Daten demnächst wie Geld behandelt werden sollen, das ist unumstritten.

Ebenfalls einig sind sich die beiden Experten aus dem Parlament über den zweiten großen Schritt bei den Rechten von Verbrauchern. Künftig soll es keinen Unterschied mehr machen, auf welchem Vertriebsweg ein Geschäft zustande kommt. Derzeit ist es noch so: Wer im Netz etwas kauft, der hat in Deutschland grundsätzlich das Recht, binnen 14 Tagen von dem Geschäft zurückzutreten. Das gilt zum Beispiel für ein Buch, das wenige Euro im Onlineshop kostet. Im Fachjargon heißt es, es wird ein Fernabsatzvertrag geschlossen. Wer das Buch in einer guten alten Buchhandlung kauft, der hat dieses Recht nicht. Zumindest nicht in Deutschland.

In anderen EU-Ländern sieht es anders aus. In Portugal und dem Vereinigten Königreich etwa ist das Recht fest verankert, vom Kauf binnen einer Frist ohne Angabe von Gründen zurückzutreten. Die beiden Experten aus dem Europaparlament streben EU-weit jetzt eine einheitliche Regelung an: Künftig gelten bei einer CD, die im Geschäft gekauft wird, die gleichen Verbraucherschutzrechte wie bei einer CD, die im Onlineshop erworben wurde, wie auch, wenn der Verbraucher gegen Geld die Musik aus dem Internet bezieht.

Geklärt ist damit auch, wie mit jenen internetfähigen Verbrauchsgütern umzugehen ist, die voll sind mit digitaler Technik. Zum Beispiel mit Autos der nächsten Generation, die autonom fahren. Deren Computer mit anderen Computern kommunizieren, Daten sammeln und austauschen. Oder der Kühlschrank, der online Fischstäbchen ordert, wenn sich die Bestände dem Ende zuneigen. Welches Recht gilt, das für Autos und Kühlschränke oder das für Software-Produkte?

Künftig soll eine Unterscheidung nicht mehr nötig sein. Der Verbraucher soll die gleichen Rechte haben. So weit sind sich Voss und Gebhardt einig. Damit endet aber das Einvernehmen. Uneinig sind sich die beiden, wie die Verbraucherschutzrechte konkret durchbuchstabiert werden sollen. Es geht um Fragen wie: Wie lange Garantie gibt es? In Deutschland sind es etwa 24 Monate, in Frankreich gelten 36 Monate. Wie viele Monate nach dem Kauf kann der Kunde einen Defekt reklamieren, und die Beweislast liegt beim Verkäufer? Nur sechs Monate, wie in Deutschland, oder 36 Monate, wie in Frankreich? Für Evelyne Gebhardt steht der Verbraucherschutz im Mittelpunkt. "Ich will auf keinen Fall, dass bestehende Verbraucherschutzrechte auch nur in einem Mitgliedsstaat der Union durch die Richtlinie infrage gestellt werden." Sie werde sich dafür einsetzen, dass EU-weit "ein hohes Schutzniveau bei Käufen verankert wird, unabhängig vom Vertriebsweg."

Ihr Kollege bei den Christdemokraten, Axel Voss, setzt andere Prioritäten. "Ich plädiere für klare Regelungen für alle Beteiligten. Ich möchte, dass nicht neue Hürden für Unternehmen aufgebaut werden, die ins Geschäft einsteigen wollen."Meinung

Bitte liefern!Es gibt sie, die schwarzen Schafe unter den Anbietern digitaler Inhalte. Da ist zum Beispiel die Taschenlampen-App. Für den Handy-Besitzer ist die Anwendung völlig überflüssig, das Smartphone verfügt über die Zusatz-Funktion ohnehin. Für den Anbieter ist die Anwendung dagegen ebenso lukrativ wie erhellend: Die App verschafft Zugang zu personenbezogenen Daten des Anwenders - Geodaten, Fotos, Kontakte werden abgegriffen und können weiterverkauft werden. Es gibt also Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.
Der Verbraucher muss endlich eine Möglichkeit bekommen, sich gegen unlautere Praktiken in der Internet-Ökonomie zu wehren, seine Daten zurückzufordern oder bei einem Trojaner Schadenersatz geltend zu machen. Die Marktmacht von 500 Millionen Verbrauchern in Europa ist ein wichtiger Trumpf, den die EU ausspielen kann. Es ist noch ein weiter Weg, bis auch nur in Ansätzen davon die Rede sein kann, dass es einen digitalen Binnenmarkt in den 28 Mitgliedsländern gibt.
Aber Brüssel macht sich an die Arbeit. Schon länger laufen etwa die Vorbereitungen, um die Diskriminierung von Kunden in Onlineshops aufgrund ihres Wohnortes oder ihrer Nationalität (das sogenannte Geoblocking) zu unterbinden. Es ist zu begrüßen, wenn nun die Verbraucherrechte bei Käufen und dem Herunterladen von digitalen Inhalten an der Reihe sind. Eine gesetzliche Regelung ist kniffelig, weil die Geschäftsmodelle vielfältig und die Widerstände der Unternehmen groß sind. Doch von diesem Gegenwind darf sich "Europa" nicht entmutigen lassen. Wer ankündigt, muss liefern. nachrichten.red@volksfreund.de

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