Der lange Weg zur Energieunion

Brüssel · Die Europäische Union soll zu einer Energieunion werden: Die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft wollten sich am Donnerstagabend bei ihrem Gipfel in Brüssel hinter das kürzlich präsentierte Konzept der EU-Kommission stellen.

 Wind und Sonne als tragende Energiequellen: Von diesem visionären Ziel ist die Europäische Union noch weit entfernt. Foto: dpa

Wind und Sonne als tragende Energiequellen: Von diesem visionären Ziel ist die Europäische Union noch weit entfernt. Foto: dpa


Brüssel. Die Energieunion kann kommen. Man wolle Privat- wie Industriekunden "mit sicherer, nachhaltiger, auf Wettbewerbsbasis erzeugter und erschwinglicher Energie" versorgen, heißt es in einem Strategiepapier zur Abschlusserklärung des EU-Gipfels, deren Entwurf unserer Zeitung vorliegt. Dieses Ziel erfordere "eine grundlegende Umstellung des europäischen Energiesystems".Ernüchternder Befund


Der aktuelle Befund nämlich ist ernüchternd: Die frühere Zielvorgabe, bis 2014 einen echten Binnenmarkt zu schaffen, wurde verfehlt. Trotz entsprechender EU-Gesetze existieren in der Praxis weiter 28 getrennte Märkte, die den grenzüberschreitenden Handel und damit auch günstigere Preise verhindern. Es fehlt an den notwendigen Verbindungsleitungen, was auch die Integration des steigenden Anteils erneuerbarer Energie erschwert - mit einem Jahresumsatz von 129 Milliarden Euro eine der wenigen Boombranchen Europas. Der Investitionsbedarf im Energiesektor liegt laut EU-Kommission bei einer Billion Euro bis zum Jahr 2020.
Die politische Eiszeit mit Moskau hat zudem die eigene Energieabhängigkeit, speziell von russischem Gas, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Aus den jüngsten Daten geht hervor, dass die EU satte 53 Prozent ihres Energieaufkommens importiert - für 400 Milliarden Euro im Jahr. Sechs Mitgliedstaaten sind, da sie ihr Gas von einem einzigen externen Lieferanten beziehen, besonders abhängig.
Das soll nun besser werden. Der Entwurf des Gipfeltexts spricht davon, "Infrastrukturprojekte zu beschleunigen". Zudem soll die "existierende Energiegesetzgebung voll umgesetzt und rigoros durchgesetzt werden" - von den nationalen Regierungen beziehungsweise über Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Das hätte schon längst geschehen sollen, kritisiert der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul: "Die Umsetzung hakt in den Mitgliedstaaten, wo teils die EU-Standards zur Marktöffnung nicht richtig umgesetzt werden, regulierte Preise fortbestehen, teure Subventionen den Wettbewerb unnötig verzerren oder der notwendige Netzausbau stockt." Sein ernüchternder Schluss: "Die Energie-union ist im Kern viel Altbekanntes unter einem neuen Namen."
Wirklich neu ist tatsächlich nur das Vorhaben, Gaslieferverträge mit Drittstaaten wie Russland oder direkt mit Versorgern wie Gazprom transparenter zu machen. Rund 300 davon gibt es mit Laufzeiten von teilweise 20 oder 30 Jahren. Bisher bekommt die EU-Kommission solche Abkommen erst nach der Unterzeichnung zu Gesicht, künftig soll das "zu einem frühen Zeitpunkt" geschehen. Das soll verhindern, dass sie dem Energiebinnenmarkt zuwiderlaufen.Die Gazprom-Strategie


So macht etwa Gazprom seinen Kunden zur Auflage, dass nur sie das Gas nutzen und nicht an andere weiterverkaufen dürfen. Das verteuert nicht nur die Preise, sondern verhindert auch, dass ein EU-Staat einem Nachbarland im Falle eines Versorgungsengpasses zur Hilfe eilen kann.
EU-Ratschef Donald Tusk, der noch als polnischer Premier die Energieunion ersonnen hatte, wollte ursprünglich eine Art Einkaufsgemeinschaft für Gas bilden. Die Koordination der Nachfrage, ähnlich wie dies im Euratom-Vertrag für Uran und Plutonium geregelt ist, sollte der EU vor allem gegenüber Russland eine stärkere Verhandlungsposition und damit günstigere Preise bescheren.
Die Idee wird jedoch in die Zukunft vertagt. Der Gipfel wollte laut der vorbereiteten Erklärung lediglich dazu aufrufen, "Optionen für freiwillige Mechanismen zur Nachfragebündelung zu prüfen".Kritiker ärgern sich


Umweltschützer und Grüne vermissen ein starkes Bekenntnis zu erneuerbaren Energien. Zwar wird die EU-Kommission von den Staats- und Regierungschefs aufgefordert, Gesetze vorzulegen, damit der Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch bis 2030 auf 27 Prozent steigt. Zudem soll "die nächste Generation von Erneuerbaren" gefördert werden. Die Kritiker ärgert aber der Bezug auf "interne Ressourcen sowie sichere und nachhaltige Technologien mit niedrigem CO-Ausstoß". Sie vermuten hinter dem Zugeständnis an Großbritannien, das einen "technologieneutralen Klimaschutz" fordert, eine Renaissance der Atomkraft sowie einen Freifahrtschein für die Schiefergasförderung mit der umstrittenen Fracking-Technik. "Es ist trostlos", meint die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, "dass die Lobbyisten der großen Energiekonzerne immer noch erfolgreich darin sind, weiter den alten fossil-atomaren Energiemix durchzusetzen."Extra

Obwohl die Athener Finanznöte gar nicht auf der Tagesordnung standen, hat das Griechenland-Drama den ersten Tag des Brüsseler EU-Gipfels beherrscht: Am späten Donnerstagabend wollten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande sowie die Spitzen der wichtigsten EU-Gremien zusammen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras Lösungen im zunehmend festgefahrenen Schuldenstreit suchen. Merkel hatte vor Beginn des Treffens, das bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht angefangen hatte, jedoch vor zu großem Optimismus gewarnt: "Erwarten Sie keine Lösung, keinen Durchbruch", sagte sie beim Eintreffen in Brüssel. Alle Entscheidungen würden in der Euro-Gruppe der Finanzminister getroffen, "dabei bleibt es". Tsipras dagegen verlangte von der EU "kühne politische Initiativen". Sein Vize Gianis Dragasakis hatte am Vorabend erstmals ein "Liquiditätsproblem" seines Landes eingeräumt. zied

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