Die Basis will es etwas konservativer

Berlin · Die doppelte Staatsbürgerschaft soll ganz gekippt werden: Dieser mit knapper Mehrheit gefasste Beschluss sorgt auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen für Furore. Ein Rechtsruck? Wenn ja, dann fällt er aber moderat aus.


Berlin. Um zwei Punkte wurde auf dem Parteitag der CDU in Essen besonders gerungen: Die Steuern sowie die Flüchtlinge und Migraten. Hier prallen bei den Christdemokraten nicht nur Konservative und Liberale aufeinander, hier geht es auch um die Zukunft: Bleibt die Union koalitionsfähig mit Parteien wie SPD und sogar Grünen? Die Antwort: Sie bleibt, aber es wird komplizierter. Besonders diskutiert wurde das beim Thema Steuern. Alle linken Parteien wollen bei den Reichen mehr kassieren. Bisher hatte die Union aber jegliche Steuererhöhung ausgeschlossen. Nicht mal die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes für Schnittblumen wäre möglich gewesen. In Essen nun wollte sich der Vorstand von dieser rigiden Aussage verabschieden. In dem ersten Entwurf des Leitantrages stand trickreich, die CDU wolle die "Steuerquote" nicht erhöhen, also den Anteil der Steuern an der Gesamtwirtschaftsleistung.Heftiger Protest


Das hätte Belastungen bei den oberen Einkommen möglich gemacht, sofern ihnen bei den unteren Einkommen Entlastungen entgegengestanden hätten. Dagegen protestierte die Mittelstandsorganisation heftig - und setzte sich durch. "Grundsätzlich" seien Steuererhöhungen ausgeschlossen, heißt es nun, "insbesondere eine Verschärfung der Erbschaftsteuer und eine Einführung der Vermögensteuer". In der Führung glaubt man damit trotzdem arbeiten zu können - schließlich seien nur zwei Steuerarten explizit genannt worden. Mindestens die Anhebung der Abgeltungsteuer, die SPD und Grüne massiv fordern, sei noch drin.
Man spürt in solchen Manövern den Willen, die Union trotz einer leichten Rechtsbewegung koalitionsfähig zu halten. Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik. Ein besonders scharfes Papier des CDU-Vizevorsitzenden Thomas Strobl wurde teilweise in den dann vom Parteitag einstimmig angenommenen Leitantrag des Vorstandes integriert. Strobl verzichtete deshalb darauf, seine Forderungen gesondert abstimmen zu lassen. Einige besonders umstrittene Vorschläge - etwa die Abschiebung auch von Kranken - gingen bei dieser Operation allerdings verloren. Der Rest ist zwar hart formuliert, aber für keinen Partner unüberwindbar. Eine Einreisewelle wie 2015 dürfe sich nicht wiederholen, heißt es. Für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber solle es eine "nationale Kraftanstrengung" geben, aber ausdrücklich auf der Basis "geltenden Rechts". Nach dem Türkei-Abkommen soll es Ähnliches auch mit nordafrikanischen Staaten geben, um Mittelmeerflüchtlinge wieder dorthin zurückzubringen.
Kaum koalitionskompatibel mit SPD oder Grünen ist die geforderte Ausweitung der Haftgründe für Abschiebehaft. Ebenso das Burka-Verbot, das aber mit der Einschränkung "unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten" weich formuliert ist.
Eine Kampfabstimmung gab es um die doppelte Staatsbürgerschaft. Die erst vor zwei Jahren aufgrund des Koalitionsvertrages mit der SPD eingeführten Ausnahmen von der Pflicht, sich mit 21 Jahren für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden (Optionspflicht), sollen auf Antrag der Jungen Union wieder gekippt werden. Das setzte eine knappe Mehrheit durch, obwohl Innenminister Thomas de Maizière dagegen redete. Freilich dürfte im neuen Bundestag niemand die Abschaffung mittragen. Die SPD protestierte bereits heftig.
Sozial- und familienpolitisch bleibt die CDU auch nach Essen so, wie Merkel sie positioniert hat - auf die Mitte orientiert. Die gesetzliche Rentenversicherung soll als "tragende Säule" der Alterssicherung gestärkt werden.Keine konkrete Aussage


Eine konkretere Aussage gibt es dazu freilich nicht. Und das Ehegattensplitting möchte die CDU zum Familiensplitting weiterentwickeln. Schwierig für mögliche Partner dürfte zwar die geforderte Ausweitung der Videoüberwachung und des Einsatzes der Bundeswehr im Innern sein, jedoch wurde auch hier bewusst eine weiche Formulierung ("wenn nötig zur Unterstützung der Sicherheitsbehörden") gewählt.Meinung

Nur eine Etappe
Für Angela Merkel war der Parteitag von Essen lediglich eine erste Etappe auf dem Weg ins Wahljahr. Die einhellige Verabschiedung des Leitantrags mit schärferen Abschieberegelungen und einer "grundsätzlichen", damit jedoch dehnbaren Ablehnung von Steuererhöhungen darf Merkel nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Union im Grunde eine verunsicherte Partei ist. Verunsichert von der Prügel, die sie für Merkels Flüchtlingspolitik derzeit bekommt, bei nahezu allen Wahlen, bei vielen Gesprächen mit den Bürgern. Verunsichert von der Konkurrenz der AfD. Verunsichert, weil die Richtung auch in anderen Fragen nicht mehr klar ist. Das bedeutet, die CDU und ihre Vorsitzende müssen bis zum Wahltag ihre Konturen noch gewaltig schärfen. Vor allem müssen sie die CSU einfangen, die den Streit um eine Obergrenze für den Flüchtlingszustrom immer wieder schürt. Gelingt im Frühjahr kein gemeinsames Wahlprogramm, dann wird die innere Verunsicherung der Union offen auf dem Tisch liegen. Merkels nächste, schwierige Etappe? nachrichten.red@volksfreund.de

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