Die Helden von Wagen zwölf

Paris · Das beherzte Eingreifen von zwei jungen US-Soldaten hat am Freitagabend offenbar ein Blutbad im Thalys (siehe Hintergrund) von Amsterdam nach Paris verhindert. Sie stoppten einen mit einer Kalaschnikow bewaffneten Marokkaner, der den Geheimdiensten als radikaler Islamist bekannt ist.

Paris. Sie waren im Zug unterwegs, um zusammen Urlaub zu machen. Doch um 17.50 Uhr am Freitagabend wurde die Reise von Alek Skarlatos, Spencer Stone und Anthony Sadler durch einen den Geheimdiensten bekannten radikalen Islamisten brutal unterbrochen - und die drei jungen Männer aus den USA wurden ungewollt zu Helden. Im Wagen zwölf des vollbesetzten Thalys 9364 stoppten sie den Marokkaner Ayoub K., der mit der Kalaschnikow im Anschlag auf Passagiere schießen wollte. "Ich bin zusammen mit meinen Freunden auf meiner ersten Reise in Europa gewesen, und wir haben einen Terroristen gefasst", schildert der Student Sadler im französischen Fernsehen die Tat, die ihn über Nacht berühmt machte.
"Spencer, schnapp ihn dir!"


"Wenn sie nicht dagewesen wären ..." titelt die Zeitung Le Parisien am Sonntag. Das Szenario ist erschreckend, denn Ayoub K. hatte laut Innenminister Bernard Cazeneuve nicht nur die Kalaschnikow und ein Teppichmesser, sondern auch eine Pistole und neun Magazine mit jeweils 30 Patronen dabei - also 270 Schüsse, die er hätte abgeben können. Mit nacktem Oberkörper und Kalaschnikow in der Hand kam K. aus der Toilette und traf als erstes auf einen 28-jährigen französischen Banker, der versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, aber zu Boden geworden wurde.
Als der Täter dann Wagen zwölf betrat, gab er einen Schuss ab, der einen Franko-Amerikaner verletzte. "Wir haben einen Schuss gehört und berstendes Glas. Dann haben wir einen Zugbegleiter rennen sehen, der von einem Mann mit einer automatischen Waffe verfolgt wurde", beschreibt Sadler die Szene. "Alek schrie: ,Spencer, schnapp ihn dir!', und Spencer stürzte sich auf ihn."
Spencer Stone wurde von dem Attentäter mit einem Teppichmesser am Finger verletzt, konnte das Krankenhaus am Samstagabend aber schon wieder verlassen. Der 23-Jährige reagierte schnell, weil er es als Soldat so gewohnt ist: Er ist als Obergefreiter der US-Luftwaffe auf den Azoren stationiert.
Ähnlich erfahren ist Alek Skarlatos, der als Stabsgefreiter der Reserve der US-Nationalgarde gerade von einem Einsatz in Afghanistan zurückgekommen ist. Hinten in Wagen zwölf saß der Brite Chris Norman hinter seinem Laptop. "Meine erste Reaktion war, mich zu verstecken", gesteht der 62-Jährige, der in Südfrankreich lebt, hinterher. "Doch dann hörte ich, wie zwei Amerikaner mit ihm kämpften, und sagte mir, dass das unsere Chance ist." Norman eilte den jungen Männern zu Hilfe, die den Täter bewusstlos schlugen und mit der roten Krawatte des Briten fesselten. US-Präsident Barack Obama lobte die "heldenhafte Tat", die möglicherweise eine schlimmere Tragödie verhindert habe.

Den Geheimdiensten bekannt


Ayoub K. bestritt, einen Terrorakt geplant zu haben. Er habe die Waffen zufällig in einem Park in Brüssel gefunden und damit Passagiere ausrauben wollen. Eine Version, die Experten dem 25-Jährigen nicht abnehmen. Denn K. war den spanischen Geheimdiensten bereits bekannt, weil er eine für ihre radikale Ausrichtung bekannte Moschee im andalusischen Algeciras besuchte. Die spanischen Behörden warnten ihre französischen Kollegen 2014 vor dem Marokkaner, der in Drogengeschäfte verwickelt war und sich im Großraum Paris niederlassen wollte.
K. bekam daraufhin einen Sicherheitsvermerk der französischen Geheimdienste, die seit den Anschlägen in Januar auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt vor neuen Herausforderungen stehen.
Aus Syrien zurück


In den vergangenen Monaten lebte K. dann in Belgien. Am 10. Mai soll er jedoch in Berlin eine Germanwings-Maschine zum Flug nach Istanbul bestiegen haben, möglicherweise Richtung Syrien. Aus Syrien soll K. dann Ende Mai zurückgekommen sein - um drei Monate später im Thalys 9364 um sich zu schießen.Extra

Nach dem verhinderten Anschlag auf den Thalys werden die Züge besser geschützt. Patrouillen mit Sicherheitskräftenaus Frankreich und Belgien sollen die Züge kontrollieren, sagte Belgiens Premier Charles Michel nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates. Zuvor hatte die Bahngesellschaft SNCB Polizeischutz für die Züge angekündigt, die Brüssel mit den Niederlanden, Deutschland und Frankreich verbinden. dpaExtra

Seit 1996 verbindet der europäische Hochgeschwindigkeitszug Thalys die Metropolen mehrerer westeuropäischer Länder. Seit 2007 ist auch die Deutsche Bahn an Thalys International beteiligt. Mit dem Thalys ist Belgiens Hauptstadt von Paris aus in knapp eineinhalb Stunden erreichbar. Bis Köln ist der Thalys, der auf der Technik des französischen TGV basiert, gut drei Stunden unterwegs. Im Einsatz sind insgesamt 26 Züge. dpa

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