"Die Muslime müssen nun ihre Chance nutzen": Prümer Nahostexperte Abdel Mottaleb el-Husseini im TV-Interview

Prüm/Trier · Terroranschläge in Frankreich, Terrordrohungen in Deutschland: Nun sind die friedlichen Muslime in Deutschland gefragt, der Gefahr des Islamismus vorzubeugen, meint der in der Eifel lebende Publizist Abdel Mottaleb el-Husseini.

Prüm/Trier. Nach dem Terror in Frankreich gibt es nun Drohungen in Deutschland - gegen die Macher der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen in Dresden. Zugleich hat sich der Zentralrat der Muslime, unterstützt durch Politiker wie Bundespräsident Joachim Gauck, gegen den Terror der Islamisten gewandt. Mit dem Prümer Islam-Experten Abdel Mottaleb el-Husseini sprach TV-Redakteur Oliver Haustein-Teßmer darüber, wie es angesichts der Gefahr des Islamismus nun weitergeht.

Was bleibt von der Berliner Kundgebung?
Abdel Mottaleb el-Husseini: Gut, die Veranstaltung war von viel zu viel Harmonie geprägt, aber es bleibt aus meiner Sicht Angela Merkels Bekenntnis, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Ich verstehe das auch als direkte Attacke auf die türkische Regierung - denn damit signalisiert die Bundeskanzlerin: ,Das Verhältnis zu den Muslimen in Deutschland ist unsere Sache.\' Das finde ich am wichtigsten, es reicht aber auch nicht aus.

Was fehlt?
Husseini: Die Muslime hierzulande sind nun besonders aufgefordert, dazu beizutragen, ihre Religion weiterzuentwickeln, sich zur offenen Gesellschaft und zur Demokratie zu bekennen.

Wie stellen Sie sich das vor?
Husseini: Wenn man den Islam in seinem historischen Kontext betrachtet, ist klar, dass manches heute nicht mehr mit dem modernen Leben vereinbar ist. Nehmen Sie das Verhältnis zu anderen Religionen, zu Nichtgläubigen - oder die Stellung der Frau im Islam. Das ist eine Aufgabe der islamischen Gelehrten, hier etwas zu tun.

In welche Richtung soll das denn gehen?
Husseini: Also, das Christentum hat sich über die Jahrhunderte auch von vielen Ansprüchen getrennt - dem auf politische Macht zum Beispiel, und auch Hexenjagden sind heute in Mitteleuropa unvorstellbar. Nur wenn himmlisches und irdisches Reich getrennt werden, kommen wir hierbei voran.

So klar sind Kirche und Staat auch in Europa ja nicht getrennt.
Husseini: Gut, es gibt zwar keine absolute Trennung von Religion und Politik, aber Politik ist in erster Linie Sache der Gesellschaft; die religiösen Kräfte haben zwar Einfluss, mischen sich aber nicht direkt ein.

Und wie ist das in Syrien und im Irak vermittelbar, wo Islamisten für einen Gottestaat Krieg führen?
Husseini: Aus meiner Sicht tragen insbesondere die USA mit dem Krieg 2003 gegen das Regime von Saddam Hussein die Verantwortung für die Destabilisierung der gesamten Region, ein ähnliches Ergebnis hat die westliche Einmischung in Libyen erbracht. Und in Syrien hat es der Westen nicht geschafft, dem Herrscher Baschar al-Assad Zugeständnisse abzuringen. Das hat den Boden für den Fanatismus bereitet.

Da kann der Westen dort schlecht einen aufgeklärten Islam fordern.
Husseini: Das nicht, aber der Westen muss nun seine Werte verteidigen - Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit. Das geht in Europa, wie die riesige Demonstration in Paris nach den Terroranschlägen gezeigt hat. Es geht darum, nicht zu polarisieren und so nicht noch einerseits den Dschihadisten in die Hände zu spielen und andererseits den islamophoben Strömungen wie der Pegida.

Zu Kämpfern werden die Dschihadisten doch nicht, weil sie sich hier ausgegrenzt fühlen. Sie werden in Syrien oder im Irak ausgebildet.
Husseini: Es gibt Länder wie Saudi-Arabien, die den Extremismus produzieren. Für so etwas darf es null Toleranz geben. Was hierzulande wichtig ist: Die Muslime müssen nun ihre Chance nutzen, Merkels Botschaft ernst nehmen und mehr Schritte tun, ob nun in der Schule, in der Familie, in Vereinen oder in der Moschee - damit der Extremismus keine Chance hat. ohtExtra

Abdel el Mottaleb el-Husseini (65) lebt seit 1984 in der Eifel. Der Nahostexperte ist im Libanon geboren. Der Soziologe, Journalist und Autor beschäftigt sich mit politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen der arabischen Welt. red

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