Die Nato eilt Merkel zu Hilfe

Brüssel · Was die Europäische Union in der Flüchtlingskrise nicht vermochte, soll nun das nordatlantische Militärbündnis erledigen: die Grenzsicherung in der Ägäis.

Brüssel. In solchem Rekordtempo ist noch nie ein Nato-Einsatz beschlossen worden. Erst am Montagabend hatte Angela Merkel die Idee öffentlich gemacht, wobei sie auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Ankara den türkischen Premier Ahmet Davutoglu vorschickte. Überrumpelt wurde sie von dessen Forderung, die Militärallianz solle im östlichen Mittelmeer gegen Schlepper vorgehen, nämlich keinesfalls. Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte die Kanzlerin den Plan zu dem Zeitpunkt bereits mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras abgestimmt.
Daraus wurde beim Verteidigungsministertreffen in Brüssel ein gemeinsamer Vorschlag der drei Alliierten, dem am späten Mittwochabend auch entsprochen wurde. Keine 72 Stunden nach Merkels erster Ansage verkündete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag: "Wir werden der Türkei, Griechenland und der EU helfen, mit der Flüchtlingskrise fertig zu werden."
Die Nato soll nun den Rahmen bieten für das, was die Europäische Union bisher nicht zustande gebracht hat. Ein EU-Aktionsplan sieht bereits eine engere Kooperation zwischen Athen und Ankara in der Ägäis vor - in der Praxis hat sich wenig getan. Vor allem die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte Griechenland zuletzt mehrfach vorgeworfen, seine Marine nicht in ausreichendem Maße einzusetzen, um die Lage in den Griff zu bekommen.
Rund 300 tote Bootsflüchtlinge hatte es auf See zwischen Griechenland und der Türkei allein im Januar gegeben. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach in Brüssel von 600 Menschen, die pro Tag bei schlechtem Wetter übersetzten, bis zu 3000 bei gutem Wetter: "Wir können das nicht länger tolerieren, vor allem nicht zwischen zwei Nato-Partnern." Von der Leyen blieb es vorbehalten, die von ihr als "Riesenschritt nach vorne" bezeichnete Einigung mit den anderen Mitgliedern der Allianz zu verkünden. "Ein bestehender Marineverband, der schon in der Region ist, wird mit der neuen Aufgabe betraut."
Der militärische Nato-Oberbefehlsheber Philip Breedlove sagte in der Sitzung zu, den Verband, der zur Absicherung der Türkei bisher vor der syrischen Küste operiert, sofort nach Kreta zu verlegen. Spätestens am 24. Februar sollen alle Vorarbeiten erledigt sein und die fünf Schiffe den Ägäis-Einsatz aufnehmen.
Stoltenberg unterstrich, dafür stehe "auch anderes militärisches Gerät bereit". Kampfjets für Luftpatrouillen und Awacs-Aufklärungsflieger etwa. Mehrere Nato-Staaten stellten weitere Schiffe für den Verband in Aussicht - bisher gehören ihm ein griechisches, ein türkisches, ein kanadisches und ein italienisches Schiff an. Angeführt wird der Verband vom Einsatzgruppenversorger Bonn der Bundesmarine. Da es um Nato-Gebiet geht, ist kein Mandat des Bundestags nötig.Deutsches Schiff führt Verband an


Aufgabe soll laut von der Leyen vorrangig die Seeüberwachung sein. "Die Nato soll die Küstenwache informieren, wo immer sie sieht, dass Schlauchboote ablegen von der türkischen Küste." Sollte ein unter Flagge der Allianz fahrendes Schiff selbst auf Flüchtlingsboote stoßen, gebe es selbstverständlich die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung, doch sei mit Ankara vereinbart, dass die Aufgegriffenen zurück in die Türkei gebracht werden - selbst wenn sie bereits griechische Gewässer und damit EU-Territorium erreicht haben.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl etwa verurteilte dies scharf als "Beihilfe zur Aushebelung des Asylrechts". Darauf angesprochen sagte von der Leyen, dass es statt illegaler "lebensgefährlicher Fahrten" künftig legale Kontingente von Flüchtlingen geben solle, die direkt aus der Türkei nach Europa gebracht würden. Dies ist Teil einer deutschen Initiative mit anderen europäischen Staaten, die am Rande des EU-Gipfels kommende Woche beschlossen werden könnte. Als Voraussetzung dafür hatte Merkel stets besseren Grenzschutz vonseiten der Türkei angemahnt - der nun im Nato-Rahmen vorangetrieben wird.
Dass die Allianz so schnell und wohlwollend auf die Forderung reagierte, hängt auch damit zusammen, dass sie die Flüchtlingskrise mehr und mehr auch als Sicherheitskrise begreift. So denken nicht wenige in der Nato wie der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, der hinter Russlands Bombardierung der Stadt Aleppo nicht nur die Absicht erkennt, das syrische Regime zu stärken, sondern auch "eine gezielte Destabilisierung der europäischen Nachbarschaft" über große Flüchtlingswellen herbeizuführen.Extra

Die Nato verfügt über vier ständige Marineverbände, die eine schnelle Reaktion auf Krisen und Konflikte gewährleisten sollen. Ein Verband besteht aus mehreren Schiffen, die von verschiedenen Nato-Mitgliedstaaten gestellt werden. Es gibt zwei große Hauptverbände und zwei kleinere Gruppen, die mit Minensuchbooten nach alter Munition suchen. Zurzeit führt Deutschland den zweiten Hauptverband. Flaggschiff ist der 174 Meter lange Einsatzgruppenversorger Bonn (siehe Foto), auf dem 210 deutsche Soldaten Dienst leisten. Der Verband besteht aus fünf Schiffen. Im Anti-Schleuser-Kampf könnte er auf zehn aufgestockt werden. dpaExtra

Das Ägäische Meer, kurz Ägäis, ist das inselreiche nordöstliche Nebenmeer des Mittelmeeres (siehe Grafik links). Es gehört größtenteils zu Griechenland; ein Randstreifen im Osten ist türkisch. Der genaue Grenzverlauf ist zwischen beiden Staaten umstritten. Die Ägäis hat eine Gesamtfläche von 240 000 Quadratkilometern. Das Meer ist bis zu 3543 Meter tief. Wegen seiner hervorragenden Wasserqualität leben hier besonders viele Haie. dpa

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