Die Suche nach Spielregeln

Berlin · Die Gespräche über Spielregeln für Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn sind vorerst gescheitert. Für die Reisenden könnte das wieder Streiks bedeuten.

Berlin. Die Bahn steckt mitten in komplizierten Tarifverhandlungen und könnte demnächst darin regelrecht stecken bleiben. Schon gibt es Streikdrohungen. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL), Teil des Beamtenbundes, und die DGB-Gewerkschaft EVG rangeln zum einen mit ihrem Arbeitgeber um bessere Arbeitsbedingungen und Entgelte, vor allem aber rangeln sie gegeneinander um Mitglieder.
Zwei 2008 abgeschlossene "Grundlagen-Tarifverträge", die die Einflusssphären zwischen ihnen aufteilten, sind ausgelaufen: beide Gewerkschaften haben kein Interesse an einer Verlängerung, weil sie in die Bereiche der anderen vordringen wollen.Alles oder nichts


Die GDL möchte in der aktuellen Lohn-Runde, für die die Verhandlungen heute in Frankfurt beginnen, nicht mehr nur für die 20 000 bei ihr organisierten Lokführer pokern, sondern auch um die Gehälter der 8800 Zugbegleiter, 2500 Bordgastronomen und 3100 Lokrangierführer.
Für die will im Herbst aber auch die EVG verhandeln, die mit rund 140 000 organisierten Mitarbeitern weit größer ist und den Großteil des Zugbegleitpersonals vertritt. Die GDL verlangt fünf Prozent mehr Lohn für alle sowie für die Lokführer noch eine Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden. Die EVG will bei 39 Stunden bleiben und hat ihre sonstigen Tarifforderungen noch nicht formuliert. Die Bahn-Verantwortlichen hadern zum einen mit der Höhe der Forderungen der GDL.
Das summiere sich auf ein Gehaltsplus von 15 Prozent und sei "in dieser Form unerfüllbar". Vor allem aber wollen sie vermeiden, zwei unterschiedliche Verträge für das gleiche Personal abzuschließen, also eine "Tarifkonkurrenz" am Arbeitsplatz. Schon unterschiedliche Arbeitszeiten von EVG-Lokführern und GDL-Lokführern in den Schichtplänen seien "schlichtweg unmöglich zu organisieren", heißt es.
Das Problem Tarifkonkurrenz beschäftigt auch die Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag ist ein Gesetz zur Tarifeinheit versprochen, das solche Zustände ausschließen soll. Es soll immer der Tarifvertrag der stärksten Gewerkschaft gelten. Allerdings zögert Schwarz-Rot mit der Umsetzung, weil die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund scharf protestieren. Den Bahn-Chefs wäre eine einvernehmliche Lösung lieber als ein Gesetz, ließen sie verlauten. In den vergangenen Wochen gab es mehrere vertrauliche Treffen zwischen Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber, GDL-Chef Claus Weselsky und dem EVG-Vorsitzenden Alexander Kirchner. Weber schlug den Gewerkschaften dabei Spielregeln vor: Beide sollten zwar an allen Tarifverhandlungen beteiligt sein, aber immer nur eine die Federführung haben. Das Zusammenspiel zwischen federführender und beteiligter Gewerkschaft bei der Aufstellung der Tarifforderungen ist in dem Papier, das unserer Zeitung vorliegt, genau beschrieben, inklusive eines Schiedsverfahrens.
Man kennt sich, man duzt sich sogar teilweise - und man misstraut sich. Es gab keine Verständigung. Grund: Das Papier gibt der GDL nur bei Verhandlungen für die Lokführer die klare Federführung. Die Mini-Gewerkschaft lehnte anders als die EVG das Modell beim ersten offiziellen Treffen am Montag daher rundweg ab.
Es dürfe keine Verhandler erster und zweiter Klasse geben, wetterte GDL-Chef Weselsky. Die Verhandlungen wurden daraufhin abgebrochen. Das sei "ein beispielloser Rückschritt", erklärte Weber hinterher enttäuscht. Die Bahn besteht aber auf einer Verständigung in dieser Grundsatzfrage, ehe sie übers Geld redet.
Daher will sie heute bei der ersten Runde der Gehaltstarifverhandlungen mit der GDL nur über den Teil der Forderungen sprechen, der die Lokführer betrifft, nicht das andere Personal. Die Gewerkschaft GDL wiederum beharrt darauf, auch für die Zugbegleiter zu verhandeln und droht schon: Die Gespräche könnten so "nicht ewig gehen".

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