Die Welt soll beruhigt werden

Brüssel · Die Finanzminister haben in einer historischen Sitzung die Verlängerung des Griechenland-Programms abgelehnt. Dort steht damit die Staatspleite bevor - ob Athen den Euro-Raum verlässt, ist noch unklar.

Brüssel. An diesem Sonntag muss gearbeitet werden in Brüssel. Schadensbegrenzung ist das Ziel derer, die im Europaviertel ihre Büros bezogen haben. EU-Ratschef Donald Tusk telefoniert mit Staats- und Regierungschefs, Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande natürlich, um das weitere Vorgehen zu besprechen nach der historischen Finanzministersitzung vom Vorabend, mit der die "Rettungspolitik" in Griechenland zu einem Ende gekommen ist. "Es ist kein neuer Euro-Gipfel angesetzt", verlautet aber aus Tusks Umfeld. Anders als von vielen gefordert, sehen die Chefs offenbar keine Notwendigkeit, die Beschlüsse ihrer Minister zu korrigieren, die in den nächsten Tagen oder Wochen zum Staatsbankrott Griechenlands führen dürften. Man hält die Folgen für beherrschbar - auf der Fachebene.
Risikomanagement ist angesagt. Die Finanzstaatssekretäre der Euro-Länder besprechen sich, für jeden Tag der nächsten Woche, in der mit Turbulenzen in Griechenland und an Finanzmärkten zu rechnen ist, sind weitere Runden angesetzt.
Hilfe für das Volk


In mehreren Schaltkonferenzen, erzählt ein Diplomat, soll die Welt beruhigt werden, dass Europa klarkommt und Griechenland ein unrühmlicher Einzelfall bleibt. Es ist an Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem gewesen, diese Botschaft in seiner Pressekonferenz am Samstagabend in die Welt zu schicken. Er bietet auch humanitäre Hilfe für Griechenland an: "Die EU steht bereit, das griechische Volk nach Auslaufen des Kreditprogramms zu unterstützen." Als einer griechischen Journalistin dämmert, was es für ihr Land bedeutet, dass eine weitere Verlängerung abgelehnt wurde und keine neuen Hilfskredite mehr fließen werden, bricht sie in Tränen aus. Ein Kollege aus den Niederlanden nimmt sie in den Arm.
So viel europäisches Mitgefühl mit dem griechischen Kollegen ist in der Eur-Gruppe schon lang nicht mehr. Finanzminister Gianis Varoufakis hat es sich dort mit allen verscherzt. "Belehrungen, wie immer", hat etwa der slowakische Minister Peter Kazimir auf die Frage geantwortet, was er von Varoufakis erwarte.
Mit Vorwürfen hat auch der so Gescholtene auf seiner überfüllten Pressekonferenz nicht gespart - in Richtung Deutschland und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die sein Land weiter in die Rezession hätten kürzen wollen: "Den Griechen zu verweigern, per Referendum über die Maßnahmen abzustimmen, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone dauerhaft." Zudem wäre es doch wahrscheinlich gewesen, "dass die Griechen mehrheitlich gegen meine Meinung gestimmt hätten". Das hört sich ein wenig so an, als kalkuliere er nicht mehr mit einer langen Amtszeit.
Heiter ist es teils auf Wolfgang Schäubles Pressekonferenz zugegangen. Der Finanzminister frotzelt wie eh und je, beschwert sich, dass er aus dem kalten Sitzungs- in den warmen Pressesaal muss: "Wie soll man da seine Erkältung loswerden?" Er sagt, dies sei "kein erfreulicher Tag" und prophezeit "ein paar unruhige Tage" für Griechenland, gibt sich aber sonst betont gelassen: "Der Euro ist und bleibt stabil." Der Auftritt gibt jenen Argumentationsfutter, die in Schäuble einen "Grexit-Betreiber" sehen, wie das der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer formuliert.
Dass es ein sofortiges Ausscheiden aus dem Euro-Raum nicht geben wird und kann, weiß Schäuble. "Wir haben keine Entscheidung über die Mitgliedschaft eines Landes in der Euro-Zone zu treffen gehabt - das ist Sache der Verantwortlichen in Athen", sagt er: "Griechenland ist und bleibt Mitglied der Euro-Zone." Vorerst jedenfalls.
In den Gängen des Brüsseler Ratsgebäudes sind schon Samstagabend Szenarien diskutiert worden: Wenn das griechische Bankensystem angesichts der vielen Abhebungen oder mangels zusätzlicher EZB-Notkredite kollabiere, müssten die Institute vom griechischen Staat rekapitalisiert, also gerettet werden, um den gesellschaftlichen Zahlungsverkehr zu garantieren oder nach längerer Pause wiederherzustellen. Ohne verfügbare Euros müsste Athen Drachmen - zumindest als Parallelwährung - drucken lassen.
Könnte das in der Währungsunion funktionieren? Der irische Finanzminister Michael Noonan hat am Wochenende von "unerforschtem Gelände" gesprochen, das Europa nun betrete. Klar ist nur, dass die Möglichkeit eines Austritts aus der Euro-Zone in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist, es kann nur die Europäische Union als Ganzes verlassen werden - auf Antrag des betreffenden Mitgliedstaates.
Quasi aus dem Nichts taucht aber in Gesprächen - auch mit der deutschen Delegation - Artikel 60 des "Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge" von 1969 auf. Eine Vertragsverletzung in einem internationalen Vertrag wie dem über die EU, heißt es dort, "berechtigt die andere Vertragspartei die Vertragsverletzung als Grund für die Beendigung des Vertrags oder für seine gänzliche oder teilweise Suspendierung geltend zu machen." Die Bundesregierung, so behauptet es zumindest ein EU-Diplomat, hält den Passus im Fall Griechenland "für anwendbar". Im Klartext: Man sieht eine Möglichkeit, Athen aus dem Euro zu drängen, wenn es nicht selbst geht.

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