Ernährung als Ersatzreligion - Wer sind die neuen Foodies?

Hannover · Alte Wertesysteme wie Religion und Familie verlieren an Bedeutung. Diese Lücke füllt bei vielen Menschen inzwischen ein bestimmter Ernährungsstil. Für manche wird daraus sogar eine Ersatzreligion. Andere begeistern sich für „Essensporno“. Warum?

 ARCHIV - Eileen fotografiert am 13.07.2016 mit einem Smartphone ihr Essen. Foto: Sophia Kembowski/dpa (zu dpa "Studie: Zehn Prozent der Deutschen sind „Foodies“" vom 26.10.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++

ARCHIV - Eileen fotografiert am 13.07.2016 mit einem Smartphone ihr Essen. Foto: Sophia Kembowski/dpa (zu dpa "Studie: Zehn Prozent der Deutschen sind „Foodies“" vom 26.10.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: Sophia Kembowski (dpa)

Zuckrige Donuts und bunt belegte Sandwiches sind beliebt: Bilder und Videos von Essen werden im Internet millionenfach geklickt. Bei Instagram etwa finden sich allein zum Hashtag #food fast 200 Millionen Beiträge. "Menschen inszenieren sich heute zunehmend über einen bestimmten Ernährungsstil", sagt der Göttinger Ernährungspsychologe Thomas Ellrott. Als Veganer oder Anhänger der Steinzeit-Ernährung Paleo hebe man sich von der Menge ab. Für manchen werde der Ernährungsstil gar zur Ersatzreligion. Mit dem neuen Hype ums Essen beschäftigte sich am Mittwoch eine Tagung in Hannover. Welche Trends gibt es?

Foodies: So wird eine neue Konsumentengruppe neben Feinschmeckern und Gourmets genannt. Nach einer Studie der Universität Göttingen sind 10 Prozent der Deutschen Foodies. Die Gruppe zeichnet eine Leidenschaft fürs Kochen und Genießen, die rege Teilnahme an kulinarischen Events sowie das Posten von Food-Bildern aus. Ihren Gegenpol bilden die Ernährungsfunktionalisten (19 Prozent), Kochmuffel (16 Prozent) und Gewohnheitsköche (15 Prozent). Für 20 Prozent Ernährungsinteressierte und 19 Prozent Light-Foodies wird das Thema immer wichtiger.

Food Porn: Unzählige Bilder von Essen werden in sozialen Netzwerken gepostet. Food Porn ("Essensporno") ist ein weltweites Phänomen. Ernährungsforscher Ellrott spricht von "digitalen Tattoos", die nichts mit der Realität zu tun haben müssen. Sie dienten der Selbstinszenierung und signalisierten die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe — wie Marken-Turnschuhe oder ein Porsche.

Vegetarisch und vegan: In Deutschland ernähren sich dem Vegetarierbund zufolge 7,8 Millionen Menschen vegetarisch und rund 900 000 Menschen vegan, täglich kommen Hunderte dazu. Die fleischlose Ernährung sei mit einer Reihe von positiven Charaktereigenschaften wie Selbstdisziplin, Tier- und Klimaschutz oder Altruismus verknüpft, sagt Ellrott.

Paleo und Beef: Parallel zum Trend Fleischverzicht gibt es Bewegungen, die (blutiges) Fleisch feiern. Die Anhänger der Paleo-Diät ernähren sich so wie unsere Vorfahren in der Steinzeit, also mit Beeren, Nüssen, aber auch Fleisch. Sie verzichten auf industriell hergestellte Lebensmittel. Gleichzeitig boomt das Geschäft rund ums Grillen. Wie groß das Thema Fleisch ist, beweist das Food- und Lifestyle-Magazin "Beef!", das sich speziell an Männer richtet.

Food-Events: "Ernährungsthemen sind trendy", sagt die Göttinger Marketingexpertin Anke Zühlsdorf. Beispiele dafür sind Food-Swaps — also Tauschbörsen für Selbstgekochtes —, Food-Blogs im Internet, Food-Festivals oder Food-Trucks, die in vielen Städten zum Beispiel Veganes, Burger oder exotische Küche anbieten.

Veggie Day oder Pork-Day: Die Ernährungsstile fächern sich immer weiter auf, sie sind Ausdruck von Individualität. Da verwundert es nicht, dass die Grünen mit ihrer Forderung nach einem Veggie-Day — also einem wöchentlichen vegetarischen Tag — 2013 eine Bruchlandung erlitten. Beim Essen will sich keiner etwas vorschreiben lassen. Die CDU in Schleswig-Holstein sorgte sich Anfang des Jahres, dass Schweinefleisch aus Rücksicht auf Muslime aus deutschen Kantinen verschwinden könnte. Nach ihrem Ruf nach einem Pork-Day prasselte von allen Seiten Spott auf die Partei ein.

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