"Es wird immer lauter, härter und gemeiner"

Trier · Der Ton wird rauer, die Diskussionskultur ist verroht. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man in sozialen Netzwerken unterwegs ist. Lehrer und Politiker bestätigen diese Tatsache. Woran liegt das?

Trier. "Es wird immer lauter, härter und gemeiner. Auch das bürgerliche Kulturpublikum pöbelt. Die Barbaren stehen schlange bei der Post und sitzen in den Chefetagen. Erst herrscht ein ständiger Krawall und egozentrischer Aufruhr, als gebe es weder Nachbarn noch Mitmenschen." Es sind deutliche Worte, die der Germanist und Journalist Jürgen Roth findet in seiner polemischen Buch "Benehmt Euch! Ein Pamphlet." In der bereits vor drei Jahren erschienen Schrift sucht er gemeinsam mit dem Satire-Redakteur Stefan Gärtner nach den Ursachen der zunehmenden Verrohung und Respektlosigkeit weiter Teile der Gesellschaft. Sie sehen sie unter anderem in dem Bedeutungsverlust von Werten und Moral und einer immer rücksichtloser und egozentrisch werdenden Gesellschaft, in der sich jeder selbst der Nächste ist.
Fehlende Moral und Respektlosigkeit - darüber klagen schon seit Jahren die Lehrer. Doch nach Auskunft des Lehrerverbandes VBE hat diese Respektlosigkeit mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass selbst die hartgesottensten Pädagogen nicht mehr kaltlässt. "In allen möglichen Bereichen zu allen Sprachanlässen werden heutzutage von den Jugendlichen immer häufiger Kraftausdrücke verwendet, häufig mit der größten Selbstverständlichkeit und ohne jedes Unrechtsbewusstsein", sagt ein Lehrer einer Realschule plus, der unerkannt bleiben will. Er führt das auf eine umgreifende Orientierungslosigkeit zurück. "Die Eltern dieser Kinder lassen sich zuweilen ganz genauso aus wie ihre Kinder, im Fernsehen laufen Talkshows, Reality-Serien und andere Formate, in denen die Akteure sich ebenso verhalten wie die Jugendlichen und sich teilweise übel beschimpfen - man denke nur an ‚Frauentausch' - und in den USA will gerade einer Präsident werden, der es normal findet und sich noch damit brüstet, Frauen unsittlich zu berühren."
VBE-Landesgeschäftsführer Hjalmar Brandt macht diese Entwicklung Sorge. "Die sprachlichen Verrohungen und die zunehmenden verbalen Beleidigungen an der Grenze zur Gewalt können nicht tatenlos hingenommen werden, selbst dann, nicht, wenn sie vereinzelt auftreten." Beleidigungen seien nicht nur respektlos gegenüber dem Beleidigten, sondern sie zerstörten auch das soziale Klima. Er verweist auf einen Hilferuf von bayerischen Lehrern (siehe Extra). In einem kürzlich veröffentlichten Manifest mit dem Titel "Haltung zählt", warnen sie vor den Auswirkungen hasserfüllter Sprache auf Kinder und Jugendliche. Lehrer müssten sich selbstverständlich wehren, wenn sie Opfer von Beleidigungen werden, sagt Brandt. Sie müssten konsequent einer Hass-Sprache entgegentreten. Der Freiburger Neurologe und Psychotherapeut Joachim Bauer sieht einen engen Zusammenhang zwischen aggressiver Sprache und aggressivem Verhalten: "Hasssprache erhöht die Bereitschaft, selbst gewaltbereit zu handeln."
Die Kommunikation über soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und Whatsapp hat nach Ansicht des Leiters des Institutes für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger, hat zu einer aggressiveren Sprache geführt: "Es ist nicht die Sprache, die verroht. Es ist der Sprachgebrauch." Das bestätigt auch der Realschullehrer: "In sozialen Netzwerken und in Klassengruppen nehmen die Schüler auch selten ein Blatt vor den Mund." Auch ein Kollege, der ebenfalls anonym bleiben will, berichtet von einem rauer gewordenen Umgangston.
Bei der Staatsanwaltschaft Trier ist die Zahl der Verfahren wegen Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung in den ersten neun Monaten diesen Jahres von 1332 auf 1426 gestiegen. Auf Landesebene ist die Zahl der Verfahren wegen Beleidigungen im vergangenen Jahr gegenüber 2014 gleich geblieben. 13 973 Fälle sind in der polizeilichen Kriminalstatistik für Rheinland-Pfalz aufgeführt. Die Polizei spricht von einer Stagnation auf hohem Niveau.
Die Zahl, der übers Internet verbreiteten Beleidigungen ist laut der Kriminalstatistik auf Landesebene um 47 auf 644 Fälle zurückgegangen. Verfahren wegen Beleidigungen, über soziale Netzwerke wie Facebook oder Whatsapp, gehörten inzwischen aber zur täglichen Praxis, sagt der Leitende Trierer Oberstaatsanwaltschaft, Peter Fritzen.
Der Eifeler FDP-Politiker Marco Weber, der seit Mai im Landtag sitzt, sieht auch in der Diskussionskultur im Parlament eine Mitschuld am härter werdenden Ton im Internet. Er sei erschreckt über die häufigen Zwischenrufe, sagt Weber.
Experten glauben, dass Äußerungen wie die des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer über Flüchtlinge ("Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist. Weil den wirst du nie wieder abschieben") zu einer zunehmenden Respektlosigkeit bei Bürgern führen. Derartige rechtspopulistische Äußerungen würden dazu beitragen, dass Hassparolen und Verleumdungen quasi gesellschaftsfähig werden. Allerdings sehen sich Politiker der rechtstspopulistischen AfD als Opfer von Beleidigungen im Internet. "In den sozialen Netzwerken erleben wir immer wieder persönliche Diffamierungen, Hass und Hetze gegen die AfD", beklagt sich der Landtagsabgeordnete Michael Frisch aus Trier.

Extra

Bayerns Lehrer warnen vor den Auswirkungen hasserfüllter Sprache auf Kinder und Jugendliche. "Wir beobachten mit größter Sorge, wie sich die Stimmung, die Kommunikation in den sozialen Netzwerken und die alltäglichen Umgangsformen in unserer Gesellschaft verändern", heißt es in einem Manifest mit dem Titel "Haltung zählt", das kürzlich in München vorgestellt worden ist. "Diese Verrohung des Umgangs wirkt sich auch auf unsere Kinder und Jugendlichen aus." dpaExtra

Welche Erfahrungen haben Landespolitiker aus der Region mit Beleidigungen und Hassmails gemacht. Der TV hat bei einigen nachgefragt. Sven Teuber (SPD), Trier: Überall gibt es Beleidigungen, Populismus und Hetze. Ob sich der Ton geändert hat oder ob es durch die neuen Formen der Kommunikation nur anders gebündelt wird, weiß ich nicht. Ich persönlich habe viele gute Erfahrungen gesammelt, und deshalb glaube ich daran, dass nur durch den Dialog Populismus und Hetze wirkungsmächtig entgegengetreten werden kann, und da ist das Medium egal. Bernhard Henter (CDU), Konz: Der Dialog zwischen Bürgern einerseits und den Politkern anderseits ist erforderlich und gehört zum politischen Geschäft. Sicherlich führen die sozialen Medien dazu, dass aufgrund ihrer Anonymität der Dialog gelegentlich etwas härter wird. Auf der anderen Seite bin ich jedoch der Überzeugung, dass die neuen Sozialen Medien das direkte Gespräch zwischen Politikern und Bürgern nicht ersetzen können. Alexander Licht, (CDU), Brauneberg: Mir gegenüber kann ich keine Veränderungen bei der Kommunikation feststellen. Ich versuche mit jeder Kritik sachlich umzugehen, und das strahlt bemerkenswert zurück. Ingeborg Sahler-Fesel (SPD), Trier: Die Erfahrung eines rauen Tons ist nicht so neu, und ein dickes Fell mussten Politiker immer haben. Probleme entstehen schon immer dann, wenn Menschen neben den eigenen Interessen nicht die der anderen wahrhaben wollen - die ich als Abgeordnete aber berücksichtigen muss. Wenn man jemandem mit seinem Anliegen aufgrund der rechtlichen Lage oder wegen gegenläufiger öffentlicher Interessen nicht helfen kann, kommt es schon mal vor, dass ich eine mehr als patzige Antwort bekomme. Seit einiger Zeit sind Reaktionen in den digitalen Netzwerken häufiger geworden, die den Tatbestand der Beleidigung deutlich erfüllen. Das geht schon in die Nähe des Zivilisationsverlusts. Leider wähnen sich manche dort im rechtsfreien Raum. Bei sehr emotional besetzten Themen, wie aktuell der Windkraft, sind Unterstellungen und Beleidigungen fast schon an der Tagesordnung. Jens Ahnemüller (AfD), Konz: Ich bin für klare Worte, die kritisch, aber nicht beleidigend sein sollen. Was bei mir sehr negativ ankommt, sind hinterhältige, verdeckte Attacken oder Unwahrheiten und Halbherzigkeiten. Wenn zum Beispiel ein Landtagsabgeordneter, wie zuletzt bei einer AfD-Veranstaltung in Trier-Saarburg, andersdenkende Bürger beschimpft und andere Parteien bei der Ausübung von Vortragsveranstaltungen hindert ist das für mich eher undemokratisch und niederträchtig. Wenn dann Bürger, die sich ein eigenes Bild über eine Partei machen wollen, mit Nazi beschimpft werden, finde ich das äußerst hirnlos und in keinster Weise akzeptabel. Michael Frisch (AfD), Trier: Die Alternative für Deutschland war seit Beginn ihres Bestehens einer oft unsachlichen und aggressiven Kritik ausgesetzt. Mit zunehmendem politischen Erfolg hat sich das immer weiter verschärft. Beleidigungen an Wahlkampf- oder Infoständen waren und sind auch in Trier an der Tagesordnung. Erst kürzlich wurde bei einer Veranstaltung der Landtagsfraktion in der Region Trier das Fahrzeug einer Abgeordneten bespuckt, sämtliche Teilnehmer dieser Veranstaltung einschließlich mehrerer Abgeordneter wurden als "Nazis" beleidigt. Auch in den sozialen Netzwerken erleben wir immer wieder persönliche Diffamierungen, Hass und Hetze gegen die AfD. Marco Weber (FDP), Lissingen: Ich werde immer wieder persönlich angegriffen, sowohl per Mail als auch mündlich und auch mit Äußerungen, die unter die Gürtellinie gehen. Darunter sind auch Beleidigungen. Ich bin allerdings auch erschrocken, über die Diskussionskultur im Landtag und die häufigen Zwischenrufe. Aus der Kommunalpolitik kenne ich das nicht. wie

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