Folge 21: Ein Mainzer verändert die Welt

Im 15. Jahrhundert verbreiteten sich neue Gedanken mit zuvor nie gekannter Geschwindigkeit - dank des von Johannes Gutenberg entwickelten Druckverfahrens.

Schrift ist eine Form der Kommunikation zwischen Menschen, die in Zeit oder Raum voneinander getrennt sind. Schrift dient zur Bewahrung von Gedachtem, dem Austausch von Gedanken, sie fixiert Überliefertes und Gesetzeswerke, dient der Vermittlung von Wissen und vielem mehr. Die ersten Schriften bestanden aus Zeichen und Symbolen, schließlich wurden sie zu Silben- und Lautschriften. Von den Anfängen der Schrift, den sogenannten Ideenschriften (Felszeichnungen, Zählzeichen, Symbolzeichen), bis zur Ausbildung von Alphabetschriften vergingen Jahrtausende.
Kulturgeschichte der Menschheit


Im zweiten Jahrtausend vor Christus schufen die Phönizier eine Alphabetschrift, die wegen ihrer leichten Erlernbarkeit zunächst dem Handel zwischen den mediterranen Ländern zugutekam. Auf ihr basierten nach vielen Wandlungen die Alphabete der griechischen und dann der römischen Kultur. Die lateinische Schrift besitzt noch heute Gültigkeit für uns. Doch von der Entstehung der Schrift bis zum gedruckten Massenmedium in Buch- und Zeitungsform sollte es noch lange dauern. Schrift bedeutete über viele Menschenalter: Handschrift. Bis zur Erfindung und Verbreitung der ersten Druckverfahren - bis 800 nach Christus in China, ab dem 14. Jahrhundert auch in Europa - war jedes Schriftstück ein von Hand gefertigtes Unikat; ob in Stein gemeißelt, in feuchten Ton geritzt, auf Tierhaut, Blätter, Holztafeln oder Papyrus geschrieben. Sollte ein Schriftstück vervielfältigt werden, musste man es "abschreiben".

Klösterlicher Schreibsaal:
Im abendländischen Mittelalter waren Klöster die Zentren der Gelehrsamkeit, Horte der Schriftkultur und zugleich die wichtigsten Anstalten zur Vervielfältigung des Schriftguts. Im klösterlichen Schreibsaal, Scriptorium genannt, kopierten Mönche tagein, tagaus von Hand Bücher. Diese Bände waren enorm teuer, weshalb außerhalb der Klöster nur wenige Wohlhabende welche besaßen. Von der Mühsal der Buchherstellung zeugt folgende Passage aus einer mittelalterlichen Handschrift: "O glücklichster Leser, wasche deine Hände und fasse so das Buch an, wende die Blätter behutsam, halte die Finger weit ab von den Buchstaben. Denn wer nicht schreiben kann, meint, dies sei keine Arbeit. O wie schwer ist das Schreiben: Es trübt die Augen, quetscht die Nieren und schlägt auf alle Glieder zugleich."

Johannes Gensfleisch:
Doch die Tage der Scriptorien waren gezählt, als sich am spätmittelalterlichen Horizont die Erfindungen eines Mainzers namens Johannes Gensfleisch abzeichneten. Als Johannes Gutenberg berühmt geworden, sollte sein Druckverfahren mit beweglichen Lettern Europa von Grund auf umkrempeln. Als er etwa um das Jahr 1400 zur Welt kam, machte sich gerade das zuvor in China entwickelte Verfahren des Holztafeldrucks breit. Die Basis dafür war Holzschnitzerei. Text und bildliche Darstellungen werden an einem Stück seitenverkehrt in einen Holzblock geschnitten, eingefärbt und wie mit einem Stempel auf Papier gedrückt.

Hölzerne Druckplatten:
Diese Methode erlaubte aber nur kleine Auflagen, denn nach etwa 100 Drucken waren die Konturen der hölzernen "Druckplatte" ausgefranst. Folglich musste, um etwas größere Auflagen zu erzielen, nach kurzer Zeit für jede Druckseite ein neuer Holzblock geschnitzt werden. Massenauflagen zu erschwinglichen Preisen waren so nicht zu erreichen. Diesem Manko beizukommen hatte Gutenberg mehrere Ideen. Die erste: Statt jede einzelne Seite am Stück in einen schnell verschlissenen Holzblock zu schnitzen, wollte er einzelne Buchstaben - bewegliche Lettern - zu Worten, Sätzen, Seiten zusammensetzen. Zweite Idee: Seine Lettern sollten aus Metall bestehen, also wesentlich länger halten. Gutenberg verfiel auf eine Bleilegierung, die gute Formbarkeit und Stabilität zugleich garantierte.

Das ganze Alphabet:
Zu lösen war nun allerdings das Problem der Herstellung einer gewaltigen Vielzahl einzelner Lettern - das ganze Alphabet in Groß- und Kleinbuchstaben, Ziffern, Satzzeichen etc. und von jeder Letter eine ausreichende Menge. Hierfür die dritte Idee: Das sogenannte Handgießinstrument als effektives Hilfsmittel zum Gießen von Metalltypen in hinreichender Vielfalt, Zahl und Güte. Die vierte Idee betraf die Druckfarbe. Die für den Holztafeldruck verwendete dünnflüssige Farbe war für seine Metalllettern ungeeignet. Was der Mainzer brauchte, war eine eher zähe und schnell trocknende Emulsion - die er in langwierigen Experimenten mit Leinöl, Ruß, Pech, Harz, Zinnober und etlichen anderen Ingredienzien entwickelte.

Vom Keltern zum Druck:
Gutenbergs fünfte große Idee schließlich galt der Druckpresse. Er optimierte für seine Zwecke die vom Keltern des Weins her bekannte Spindelpresse. Im Gesamtergebnis entstand so ein schnelles, wirtschaftliches und hohe Auflagen in guter Qualität ermöglichendes Druckverfahren. Dessen Prinzipien waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Grundlage des Druckgewerbes. Die Krönung von Gutenbergs Druckkunst ist die 42-zeilige Gutenberg-Bibel (42 Zeilen pro Seite, siehe Extra).

Kirche ist wenig begeistert:
Zwar war die Bibel das herausragende Erzeugnis von Gutenbergs Mainzer Druckwerkstatt, dennoch zeigte die Kirche sich über die neue technisch-publizistische Entwicklung wenig begeistert. "Heilige Texte" gehörten ihrer Ansicht nach nicht in die Hände von Laien. Und dass die neue Drucktechnik kaum bei religiös erbaulichem und die alte Ordnung stützendem Schriftgut bleiben würde, war absehbar. Tatsächlich brachen die Dämme schneller als je gedacht: Schon anno 1500, also nur 32 Jahre nach Johannes Gutenbergs Tod 1468, wurden im deutschen Raum an etwa 270 Druckorten rund 40 000 Titel mit einer Gesamtauflage von 10 Millionen Exemplaren gedruckt.
Flugblätter fürs Volk:
Neben der Buchproduktion wurde die neue Technik ab Ende des 15. Jahrhunderts verstärkt dazu benutzt, Flugblätter zu drucken. In Auflagen von mehreren Hundert bis etlichen Tausend hergestellt, wurden sie von Händlern in den Städten und Marktflecken ans Volk verkauft. Ihr Preis war noch immer beträchtlich, konnte den Gegenwert von vier Arbeitsstunden ausmachen. Doch das Bedürfnis nach dem neuen Medium war gewaltig. Große Bildillustrationen auf den Blättern machten sie auch für die damalige Bevölkerungsmehrheit von Analphabeten attraktiv. Und wer sich ein Flugblatt geleistet hatte, hängte es stolz daheim an die Wand.

Wunder und Seelentrost:
Thematisiert wurde in diesen Blättern alles. Beliebt waren lebhaft ausgeschmückte Mitteilungen über vermeintliche Sensationen, Wunder oder Monstrositäten anderswo; aber auch Themen wie Seelentrost, Herzenserbauung und Lebensratschläge. Allmählich kamen dann Informationen über politische und militärische Ereignisse sowie deftige bis aufrührerische Karikaturen hinzu. Mit dem Massendruck von Flugblättern entstand ein neues Nachrichtensystem, das zugleich den Wunsch nach Einrichtung allgemeiner Schulen bestärkte. Schließlich entstanden die ersten regulären Zeitungen; 1650 erschien in Leipzig die erste Tageszeitung.

Vom Mittelalter zur Neuzeit:
Mit dem Gutenberg\'schen Druckverfahren geht das Mittelalter in die Neuzeit über. Diese Technik ermöglichte die Verbreitung geistiger Güter in zuvor nie gekannter Breite und Geschwindigkeit. Bald brachte ein Drucker in wenigen Stunden mehr Schriftgut zu Papier, als ein Schreiber mit seiner Feder im ganzen Jahr. Gutenbergs Erfindung wurde der zentrale Hebel zur Verbreitung von Martin Luthers Reformationsgedanken und seiner deutschen Bibel. Sie wurde ebenso ein wichtiges Instrument für die gegen ihre Herren aufbegehrenden Bauern des 15. und 16. Jahrhunderts. Das US-Magazin Time Life erklärte 1997 Gutenberg zum Mann des zweiten Jahrtausends. Begründung: Seine Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern habe die Voraussetzung für die kulturellen, politischen, religiösen Umwälzungen nachfolgender Jahrhunderte geschaffen.
Lesen Sie in der nächsten Folge: Die kopernikanische Wende
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Extra

In seiner Geburtsstadt Mainz ist Johannes Gutenberg unweit des Domes ein eigenes Museum gewidmet. Gegründet wurde die Institution von örtlichen Bürgern schon im Jahre 1900, zu seinem 500. Geburtstag. Das Mainzer Gutenberg-Museum gilt als eines der ältesten und bedeutendsten Einrichtungen in Deutschland zur Geschichte des Druckwesens wie der Schriftentwicklung generell. Im Zentrum der Dauerausstellung steht seit 1925 ein rekonstruierter Nachbau der einstigen Gutenberg-Werkstatt, in der heute mehrmals täglich das damalige Schriftgießen, Setzen und Drucken vorgeführt werden. (Infos: www.gutenberg-museum.de ) Höhepunkt der Druckkunst Gutenbergs ist die "B42", die Gutenberg-Bibel mit je 42 Zeilen pro Seite (Foto: dpa). Sie ging um 1454 in der Mainzer Werkstatt in Druck, besteht jeweils aus zwei Bänden mit zusammen 1282 Seiten. Von den ursprünglich 180 Exemplaren waren etwa 150 auf Papier gedruckt, die übrigen auf wertvolles Pergament. Heute existieren weltweit noch 49 dieser Bibeln, deren Buchstabenform und -fluss eine mittelalterliche Handschrift imitiert. Die B42, von der zwei Exemplare im Mainzer Gutenberg-Museum liegen, gehört bis heute zu den am schönsten gedruckten Büchern überhaupt. Der Text dieser Seite entstand auf Basis eines Vortrages, den Angelika Koch im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck in der Zeitung haben Andrea Mertes und Andreas Pecht übernommen. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e. V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e. V., Telefon: 02661/6702, Info: www.marienberger-akademie.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. red

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